Fall Khashoggi: Warum die Saudis davonkommen könnten

 Seit zwei Wochen im Mittelpunkt des politischen und medialen Interesses: das saudische Konsulat in Istanbul, in dem die türkischen Behörden im Fall Khashoggi eine neunstündige Durchsuchung vornahmen. Auch die Residenz des saudischen Generalkonsuls war Ziel einer Razzia.
Seit zwei Wochen im Mittelpunkt des politischen und medialen Interesses: das saudische Konsulat in Istanbul, in dem die türkischen Behörden im Fall Khashoggi eine neunstündige Durchsuchung vornahmen. Auch die Residenz des saudischen Generalkonsuls war Ziel einer Razzia.(c) REUTERS (MURAD SEZER)
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Die USA und auch die Türkei sind offenbar bemüht, nach dem mutmaßlichen Mord an dem saudischen Journalisten Khashoggi in Istanbul eine Version aufzutischen, die gesichtswahrend für Saudiarabiens Königshaus ist.

Istanbul. Die Suche dauerte bis in die frühen Morgenstunden. Nach mehr als neun Stunden verließen Experten der türkischen Spurensicherung vor Sonnenaufgang am Dienstag das Gebäude des Konsulats von Saudiarabien in Istanbul. Offenbar mit Erfolg: Man habe einen „gewissen Beweis“ für die Ermordung des verschwundenen saudischen Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat gefunden, twitterte die Agentur AP. Sie bezog sich auf hochrangige türkische Behördenvertreter. Spekuliert wurde zudem, dass auch Gift eingesetzt wurde.

Seit Khashoggi am 2. Oktober von einem Besuch in dem Konsulat im Istanbuler Stadtteil Levent nicht mehr zurückkehrte, lässt die türkische Polizei immer wieder Ermittlungserkenntnisse an die Öffentlichkeit durchsickern, die auf einen Mord hindeuten. Demnach soll ein 15-köpfiges Killerkommando aus Riad an jenem Tag nach Istanbul gekommen sein.

Verunglücktes Verhör?

Unter dem wachsenden Druck der Ermittlungen und internationaler Proteste bewegt sich Riad inzwischen auf das Eingeständnis zu, dass Khashoggi im Konsulat starb – für den Ölstaat am Golf und seinen starken Mann, Kronprinz Mohammed bin Salman, könnte der Fall jedoch trotzdem glimpflich ausgehen.

Denn schon vor den Durchsuchungen war die ursprüngliche saudische Darstellung, Khashoggi habe das Konsulat lebend verlassen, kaum noch zu halten gewesen. Der Sender CNN und die „New York Times“ meldeten, die Regierung in Riad wolle offiziell einräumen, dass Khashoggi tatsächlich im Konsulat starb – weil ein Verhör aus dem Ruder gelaufen sei. Die Verantwortung dafür solle auf Mitarbeiter von Kronprinz Mohammed abgewälzt werden, um den Thronfolger aus der Schusslinie zu nehmen.

US-Präsident Donald Trump, der sich seit Beginn seiner Amtszeit um enge Beziehungen zu Saudiarabien bemüht, deutete an, dass Khashoggi möglicherweise ohne Auftrag aus Riad ermordet worden sei. Mit dieser Erklärung könnte Trump begründen, warum er auch weiter zu Saudiarabien hält. Ein kurzfristig anberaumter Besuch von US-Außenminister Michael Pompeo in Saudiarabien am Dienstag deutete darauf hin, dass Washington nach einem gesichtswahrenden Ausweg für die saudische Regierung sucht. Pompeo traf in Riad König Salman, Außenminister Adel al-Jubeir und Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS).

Auch die Türkei könnte versucht sein, den Fall gütlich zu bereinigen. Präsident Recep Tayyip Erdoğan telefonierte mit dem saudischen König Salman und vermied öffentliche Schuldzuweisungen gegen Riad. Saudische Regierungsvertreter bauten offenbar darauf, dass Trump und andere Spitzenpolitiker sich das Wohlwollen Riads erhalten wollten – „vielleicht behalten sie recht“, schrieb der angesehene US-Politologe Richard Haass auf Twitter.

Wichtige Partner für Trump

Dass die US-Regierung bereit ist, den Fall Khashoggi nicht zum Anlass einer ernsten Krise in den Beziehungen zu Riad zu machen, liegt an der wichtigen Rolle der Saudis als Verbündete. Diese Bedeutung ist mit dem Aufstieg von Thronfolger Mohammed, der sein Land wirtschaftlich modernisieren und von der Abhängigkeit vom Öl befreien will, noch gestiegen.

Obwohl der Kronprinz konservative Regeln wie das Fahrverbot für Frauen abgeschafft hat, will er mit dem Umbau keine demokratischen Reformen verbinden. Schon vor Khashoggis Verschwinden war MBS, wie der Thronfolger oft genannt wird, mit der Verhaftung von Widersachern und Aktivisten aufgefallen. Kritiker sprechen von einer „Entwicklungsdiktatur“, die eine Modernisierung des Staates ohne mehr Demokratie anstrebt.

Das Umbauprogramm des Prinzen entspricht amerikanischen Interessen. Es geht dabei um viel Geld. Nun sagen wegen der Causa Khashoggi renommierte Wirtschaftsgrößen von Jamie Dimon, Chef des US-Geldhauses JP Morgan, bis John Flint, Boss der britischen Großbank HSBC, die Teilnahme an einer großen Investorenkonferenz in Riad ab. Die Stimmung kippt.

Die Regierung in Washington wünscht sich ein Saudiarabien, das wegen seiner Bedeutung für den weltweiten Ölhandel stabil bleibt, US-Gegner in der Golf-Region bekämpft und Israel stärkt – Kronprinz Mohammed, ein enger persönlicher Freund von Trumps Schwiegersohn und Nahost-Beauftragtem Jared Kushner, ist bei all diesen Punkten ein wichtiger Mann.

So teilt MBS die kompromisslose Gegnerschaft der US-Regierung gegenüber dem Iran. Auch unterstützt er Kushners Plan für einen Friedensschluss zwischen Israel und den Palästinensern, der dem Vernehmen nach vor allem israelischen Interessen dient. Darüber hinaus hat Kronprinz Mohammed den Amerikanern neue Rüstungsaufträge in der Höhe von mehr als 100 Milliarden Dollar versprochen – was Trump zu der öffentlichen Erklärung veranlasste, er wolle die erhofften Einnahmen für die US-Rüstungsindustrie nicht dem Fall Khashoggi opfern.

Zur Person

Der saudische Journalist Jamal Ahmad Khashoggi (60) war lang Teil der saudischen Elite: Er arbeitete für führende Medien und als Berater des saudischen Prinzen Turki ibn Faisal. 2017 flüchtete Khashoggi in die USA, wo er in der „Washington Post“ wiederholt den Kronprinzen Mohammed bin Salman kritisierte. Am 2. Oktober 2018 suchte er das saudische Konsulat in Istanbul auf, er brauchte Papiere für seine Heirat. Seitdem ist er verschwunden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2018)

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