Der türkische Gefangenenbasar

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Ankara hält mittlerweile sechs politische Gefangene aus Österreich fest. Immer wieder nutzte Präsident Erdoğan Häftlinge als Druckmittel gegen westliche Staaten, darunter Deutschland und die USA.

Wien/Istanbul. Das halbe Dutzend ist voll. Nun geriet auch ein 50-jähriger Spediteur aus Linz in die Fänge der türkischen Justiz. Damit werden nach „Presse“-Informationen sechs Österreicher aus politischen Gründen in der Türkei festgehalten. Die Dunkelziffer könnte noch höher sein: Ankara meldet nur jene Fälle, in die Österreicher ohne türkischen Zweitpass involviert sind. Dem Linzer wird die Unterstützung der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vorgeworfen. Er kam am 2. Oktober in Gewahrsam, gegen Kaution frei – und wurde am Donnerstag erneut festgenommen. Berichten zufolge belastet den gebürtigen Kurden ein Bild, das ihn mit PKK-Mitgliedern zeigen soll.

Seit der Nacht des gescheiterten Putschversuchs im Juli 2016 geht die türkische Führung mit eiserner Hand gegen Kritiker vor. Festnahmewellen schwappen über das Land. Die Türkei sucht Anhänger des Predigers Fethullah Gülen, den Präsident Recep Tayyip Erdoğan hinter dem Umsturzversuch vermutet. Auch in Österreich macht Ankara Druck: Nach Kenntnis der „Presse“ legt die Türkei der Wiener Regierung Listen mit angeblichen Gülenisten in Österreich vor. Immer wieder werden auch Österreicher in der Türkei festgenommen und wieder freigesetzt.

Die Öffentlichkeit erfährt davon oft nichts. Anders als im Fall von Max Zirngast. Seit 38 Tagen ist der Steirer in Polizeigewalt. Die türkis-blaue Regierung forderte Ankara auf, die Vorwürfe zu konkretisieren oder Zirngast freizulassen. Beides ist nicht passiert: Der linke Aktivist und Publizist sitzt weiter im Gefängnis in Sinçar vor den Toren Ankaras. Die Staatsanwaltschaft nennt keine Details – Geheimsache. Sie bestätigt nur Ermittlungen wegen „Mitgliedschaft in einer staatsfeindlichen Vereinigung“.

Erdoğan weiß um den Fall Zirngast. Er sprach ihn nach „Presse“-Informationen im Gespräch mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Rande der UN-Versammlung in New York an. Mit am Tisch saßen Außenministerin Karin Kneissl und ihr Amtskollege, Mevlüt Çavuşoğlu, die einen guten Draht zueinander haben.

Außenamt hält den Ball flach

Wien und Ankara nähern sich wieder an. Das belegt die Forschungsstätte Ephesos, an der österreichische Archäologen wieder graben. Auch in der Nato fuhr das große Mitgliedsland Türkei seine Schikanen gegen das neutrale Partnerland Österreich zurück. Kneissl legt Wert auf die verbesserten Beziehungen. Auch nach den jüngsten Festnahmen hielt das Außenministerium den Ball flach. Den Fall des Linzers und die Festnahme einer kurdischen Welserin deckten die „Oberösterreichischen Nachrichten“ auf. Zu den restlichen Fällen schweigt das Außenministerium. Offiziell aus Datenschutzgründen.

Erdoğan betreibt mit seinen ausländischen Gefangenen zuweilen „Geiseldiplomatie“. Sollen auch die inhaftierten Österreichern als Druckmittel gegen Wien eingesetzt werden? Das ist unklar. Jeder Fall ist anders.

Jüngstes Beispiel für Erdoğans schwunghaften Gefangenenbasar war der US-Pastor Andrew Brunson (50), der nach zweijähriger Haft vergangenen Freitag freikam. Ein Gericht in Izmir hatte ihn nach einem bizarren Prozess wegen angeblicher Unterstützung der PKK und der Gülen-Bewegung zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt, zugleich aber den Hausarrest und die Ausreisesperre aufgehoben. Schon am Samstag empfing US-Präsident Donald Trump den evangelikalen Geistlichen im Weißen Haus.

Trump sprach von einer schlagartigen Verbesserung der bilateralen Beziehungen zwischen Washington und Ankara. Der Präsident hatte im Fall Brunson – einer „patriotischen Geisel“ – massiven Druck ausgeübt, im August Strafzölle angehoben und Sanktionen verschärft. Die bilaterale Krise entzündete sich an der Weigerung der USA, den Prediger Gülen aus seinem US-Exil auszuliefern, und an der US-Militärhilfe für die kurdischen YPG-Milizen in Nordsyrien.

Deutschland exerzierte vor, was es unter Gefangenendiplomatie versteht. Im Februar erreichte Sigmar Gabriel, damals Außenminister, die Freilassung des „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel, der 368 Tage in der Türkei im Gefängnis saß. Zuvor hatte Ex-Kanzler Gerhard Schröder mit einer Geheimmission die Ausreise des Menschenrechtlers Peter Steudtner erwirkt.

AUF EINEN BLICK

Festnahme. In der Türkei ist ein weiterer Österreicher aus politischen Gründen in Polizeigewahrsam.

Ein 50-jähriger Linzer wurde am Donnerstag der Vorwoche festgenommen. Dem kurdischen Spediteur werden offenbar Verbindungen zu der verbotenen PKK vorgeworfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2018)

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