Gegengift

Der Held von heute, ohne Helm und ohne Pferd

Für Politiker gemäßigter Zonen ist es nach den Schrecken des 20. Jahrhunderts heikel, heroisch zu posieren wie Kanzler Kurz auf dem "Newsweek"-Cover. Wer aufrecht in die Weite schaut, wirkt leicht verdächtig.

Im Herbst eines an runden Jubiläen reichen Jahres stellte sich nach den Proben des Gegengift-Gefangenenchors in den Bleikammern von Erdberg bei der Vorbereitung auf den Nationalfeiertag eine hinterfotzige Frage, mit der Gretchen Müller ihren Heinrich Faust konfrontiert hätte, wäre sie nicht so fromm gewesen: Darf man heute noch heroisch schauen? 

Der heldenhafte Blick wird im 21. Jahrhundert aus guten Gründen von aufgeklärten Menschen in jenen Ländern gemäßigter Breiten skeptisch gesehen, die den Schrecken des 20. Jahrhunderts gerade noch entkamen. Solche Bürger meiden die sogenannte Riefenstahl-Pose, die man auch von Breker-Bluzern kennt und von roten Pendants wie Rodtschenko oder Schurpin, aber auch von Wang Guangyi, der das Sujet subversiv entfremdet: Leicht von unten her sieht man die Porträtierten - ihr Kiefer ist verspannt, das Kinn nach vorn gereckt und auch die Brust, der Blick in die Ferne gerichtet oder gar ins Nichts. 

Ein weiser Physiker, der Heroismus zu vermeiden wusste, indem er bevorzugt frech die Zunge herausstreckte, wenn jemand einen Schnappschuss von ihm machte, hat angeblich gesagt, man müsse nur lange genug in den Weltraum schauen, dann sehe man irgendwann den eigenen Hinterkopf. Das ist eine schlüssige Erklärung für das blöde Stieren von Helden: Sie wollen sich eigentlich nur selbst sehen. Dafür besitzen sie unendliche Geduld.

Verantwortlich für solche Blicke sind aber auch die Maler, Bildhauer und Fotografen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. In meiner wechselhaften Karriere bei Tageszeitungen wurde ich wiederholt genötigt, für ein Porträt zu posieren, obwohl ich kamerascheu bin. Einige Sadisten haben mir im Studio sogar verboten, zu lächeln oder gar nach unten zu blicken. Dabei wirke ich gerade dann beinahe schlank. Ein heroischer Blick nach oben ins Weite ist nichts für mich. Dann sehe ich wie Peter Ustinov als Nero im brennenden Rom oder gar wie ein grimmiger alter Nachrichtenchef aus, der unschuldige Chefredakteure und gerissene Layouter quält. (Ich bin mir nicht einmal sicher, ob zum Beweis dafür über dieser Kolumne mein Bild platziert ist, das vergessen die Kollegen Gott sei Dank häufig.)

Nicht jedem stehen Heldenmienen

(c) Cover Newsweek

Das Heroische beherrschen nur wirklich Große, Spanier, Siamkatzen oder Steinadler mit Grandezza. Am besten sind darin Kammerschauspieler, Gangsterrapper und Rainhard Fendrich, wenn er „I am from Austria“ singt. Politiker sehen als aufopfernde Alphatiere meist mindestens so lächerlich aus wie Zeitungszaren. Selbst Bruno Kreisky, von dem ich ein Bild kenne, das von Leni Riefenstahl komponiert sein könnte, wirkt als Heros wie ein Sonnenkönig beim Untergang. Nicht einmal eine Andeutung von Ironie kann diese rare Momentaufnahme aus den Achtzigerjahren retten. Und Päpsten stehen Heldenmienen auch nicht. Man glaubt, der Inquisitor komme zur peinlichen Befragung von Jesus Christus.

Schlechte Zeiten für heroische Führer. Ganz unmöglich wäre es heute (sagen wir, für einen Perückenträger wie Donald Trump), Napoleon im großen Gemälde von Jacques-Louis David hoch zu Ross nachzuahmen, beim vergeblichen Versuch, den Weltgeist zu reiten. Da säße er wahrscheinlich fast so lächerlich im Sattel wie Herbert Kickl auf seinem ebenso verkrampften Polizeibeamtenpferd. Heutzutage würde auch kein Politiker mit Verstand mehr auf die Idee kommen, sich als rasender Phaeton in einem Porsche-Cabrio ablichten zu lassen oder gar als hilflos-heroischer Beifahrer ohne Lenkrad und Sicherheitsgurt.

Kein Schnickschnack für den Kanzler

Ganz schlecht sind Stahlhelme, Turbane und Panzerfäuste für aktuelle Heldenporträts. Nicht einmal Kim Jong-un oder Wladimir Putin würden in ihren unterworfenen Provinzen so posieren. Höchstens eine Kalaschnikow geht bei denen noch als Accessoire durch. Auf solchen Schnickschnack kann unser Bundeskanzler verzichten, wie sein Coverfoto im US-Magazin „Newsweek“ zeigt.

Jetzt muss aber genug sein mit der Hoffart. Man stelle sich vor, die Spitzenkandidaten bei der wohl schon bald anstehenden Wiener Gemeinderatswahl kämen auf die Idee, Sebastian Kurz auf ihren Wahlplakaten nachzuahmen. Sie würden seinen weiteren Aufstieg begünstigen und ihren eigenen Niedergang provozieren. Der Opposition ist letztendlich immer zu raten: Zunge zeigen.

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