Hirtenbriefe

Schämen wir uns unseres Christseins? Diese Frage stellen die Bischöfe heute in einem ihrer seltenen Hirtenbriefe. Eine Provokation angesichts der Vorkommnisse in der Kirche.

Nur für den Fall, dass Sie die Sonntagsmesse (aus welchen Gründen auch immer) verpasst haben oder der Priester Ihres Vertrauens das Dokument (aus welchen Gründen auch immer) erst gar nicht verlesen hat: An dieser Stelle als Service zwei Schlüsselsätze aus einer nicht eben alltäglichen Textgattung, aus dem Hirtenbrief, den die österreichischen Bischöfe anlässlich des sogenannten Weltmissionssonntags verfasst haben. Nun denn: „Scheuen wir uns, den Glauben zu bezeugen? Schämen wir uns unseres Christseins?“

Die Nachfolger der Apostel stellen interessante Fragen zur Gewissenserforschung. Provokant sind sie obendrein. Zunächst fällt auf, dass in diesem Schreiben auf das Christsein Bezug genommen wird. Von einem Katholischsein ist seitens der katholischen Bischöfe in dem Text nicht (mehr) die Rede. Die wohlwollende Interpretation der Wahl genau dieser Formulierung: Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil vor mehr als fünf Jahrzehnten ist die vorher nicht selten offen angefeindete ökumenische Bewegung, ist das Zugehen auf die anderen christlichen Gemeinschaften mit dem Betonen der Gemeinsamkeiten Auftrag von oben und im Mainstream angelangt.

Die weniger wohlmeinende Interpretation: Selbst die Bischöfe wissen um die Schwierigkeiten, die die Bezugnahme auf das Katholischsein mit sich bringt, und wollen wenigstens beim Thema Mission sich und den ihnen anvertrauten Schäfchen Assoziationen mit Missbrauch und anderen spezifisch katholischen Gemengelagen ersparen. Der in der Öffentlichkeit aktuell (besonders in den profanen Medien Deutschlands mit schier unbändiger, jedenfalls in der Intensität kaum noch zu übertreffender Lust) geführten Debatten gibt es genug.

Nur ein Beispiel: Dass die Unbedenklichkeitserklärung Roms (das berühmt-berüchtigte „Nihil obstat“) für den Rektor der katholischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt, Ansgar Wucherpfennig, einen Jesuiten, wie der Papst (ausgerechnet!), viele Monate nach dessen Wiederwahl ausständig ist. Aber die wird doch wohl sicher noch kommen! Nur Geduld! Römische Kuriale sind nicht so ungestüm wie zappelige deutsche Theologen und Feuilletonisten. Anders ist die lange Zeit des Wartens auf das grüne Licht aus dem Vatikan ja nicht erklärbar. Oder will jemand ernsthaft unterstellen, im Pontifikat Franziskus wäre es möglich, einem Rektor die Berufsausübung zu verbieten, weil er den Umgang der katholischen Kirche mit homosexuellen Menschen kritisiert oder weil er sich dezent für die Priesterweihe von Frauen ausgesprochen hat?

Was uns zurückführt: Schämen wir uns unseres Christseins? Die Frage wird spontaner mit Nein zu beantworten sein als die des Katholischseins. Man muss darüber nicht in Jubel ausbrechen.

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2018)

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