Die Sache mit dem Kopftuch

Wieso macht sie das? Geht das? Und: Wie geht es mir damit?
Wieso macht sie das? Geht das? Und: Wie geht es mir damit?(c) REUTERS (Amr Dalsh)
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Nun begab es sich, dass ich eine der vier engelsgleichen Betreuerinnen beim Verlassen der Kinderkrippe, ehe sie in ihr Auto stieg, beim Aufsetzen ihres Kopftuches sah.

Ich darf mich einen glücklichen Vater nennen, denn unsere Tochter ist ein vifes, lustiges Mädchen, wie man sich ein liebenswerteres kaum wünschen kann. Wesentlichen Anteil an der Bildung ihres nun zweieinhalbjährigen Charakters hat zweifellos die Kinderkrippe, welche sie hier in Brüssel seit unserer Rückkehr aus Washington wochentags besucht. In Österreich wird man, wie Meinungsumfragen belegen, noch immer von vielen Zeitgenossen als Rabeneltern verunglimpft, wenn man sein Kleinkind in fremde Betreuung gibt, in Belgien jedoch und auch Frankreich ist das nicht kontroversiell, und ich könnte nicht behaupten, dass meine Tochter einen Schaden daraus erleidet, tagsüber unter fachkundiger und liebevoller Aufsicht mit ihren kleinen Freundinnen und Freunden zu spielen, zu basteln, zu musizieren und Schabernack zu treiben.

Nun begab es sich, dass ich eine der vier engelsgleichen Betreuerinnen (das Französische hat hierfür das würdevolle Wort „puéricultrice“ kreiert) beim Verlassen der Kinderkrippe, ehe sie in ihr Auto stieg, beim Aufsetzen ihres Kopftuches sah: kein Tschador, kein Hijab, kein Niqab, nein, ein rosafarbenes, locker sitzendes Tuch. Sofort ratterten die Fragen durch meinen Kopf: Wieso macht sie das? Geht das? Und: Wie geht es mir damit? Die rechtliche Lage in Belgien ist unübersichtlich: Ein klares Kopftuchverbot für Erzieherinnen konnte ich nicht finden, weder im öffentlichen Dienst noch bei privaten Arbeitgebern, und die Rechtsprechung ist mehrdeutig. Doch je länger ich nachdenke, desto mehr verflüchtigt sich das Problem: Wenn die Kinderkrippe es vorschreibt, bei der Arbeit mit den Kindern kein Kopftuch zu tragen, und diese Betreuerin sich daran hält, dann legt sie damit genau jenes Bekenntnis zur Trennung zwischen Staat und Religion beziehungsweise der Aufgabe als Erzieherin und ihrem Glauben an den Tag, welches Islamkritiker Moslems oft pauschal absprechen. Dann ist also das Tragen des Kopftuches für sie eine rein private Sache, wie es im säkularen, liberalen Rechtsstaat sein soll. Und das finde ich in unseren kulturkampfbereiten Zeiten sehr tröstlich.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2018)


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