Der europäische Trend macht am Brenner nicht halt: Die Macht der Volkspartei bröckelt. Die Rechte wird stärker – aber nicht die deutschsprachige.
Stellen Sie sich vor, es ist Wahltag – und die Freiheitlichen stürzen ab: In Österreich muss man schon sehr angestrengt nachdenken, um sich an den jüngsten Urnengang ohne Jubel aus der FPÖ-Zentrale zu erinnern. Die Partei von Heinz-Christian Strache gewinnt vielleicht nicht immer so viel, wie sie es erhofft hat. Aber sie gewinnt.
Blickte man nach der Südtiroler Landtagswahl also aus Wien in Richtung Bozen, spielten sich dort unübliche Szenen ab: Die Freiheitlichen schauten betrübt in die Kameras und hielten sich an Stehsätzen fest, die man sonst nur von Politikern der Volksparteien kannte. Man müsse das Ergebnis ernsthaft analysieren und Konsequenzen daraus ziehen. Die Wahl? „Ein Desaster.“ Der Montag danach? „Ein schwarzer Tag“, sagte Parteichef Andreas Leiter Reber. Es gäbe auch keine Möglichkeit, das Ergebnis schönzureden. Die Partei hat beinahe zwei Drittel ihrer Wähler verloren.
Dass die Freiheitlichen intern zerstritten sind, könnte einen Teil des Stimmenverlusts erklären. Einen weiteren wichtigen Grund nennt die Abgeordnete Ulli Mair am Montag aber selbst: „Wir wurden zu sehr auf die Doppelstaatsbürgerschaften reduziert.“ Der Befund mag stimmen: Die Partei testete im Vorjahr, wie ihre Rufe nach österreichischen Pässen für Südtiroler bei der Bevölkerung ankommen. Als das Echo nicht besonders positiv ausfiel, hielt man sich im Wahlkampf mit dem Thema zurück. Doch zu dem Zeitpunkt war der Stempel bereits aufgedrückt: Die Südtiroler Freiheitlichen würden die Doppelstaatsbürgerschaft möglicherweise für einen weiteren separatistischen Schritt in Richtung „Los von Rom“ nutzen, fürchteten einige in Südtirol. Dass die Partei zuletzt ein Stück weit nach rechts gerückt war, passte dabei ins Bild.
So gesehen dürfte es auch nicht geholfen haben, dass sich der freiheitliche Verkehrsminister Norbert Hofer mit Generalsekretär Harald Vilimsky in einer Cessna kurz vor der Landtagswahl selbst einflog. Selbst Strache kam bei seinem Auftritt in einem Bozner Bierkeller nicht uneingeschränkt gut an. Vor allem sein europakritischer Ton verschreckte einen Teil der deutschsprachigen Bevölkerung. Als Minderheit in einer autonomen Provinz gibt es eine enge Verbundenheit zur Europäischen Union. Auch Wahlkampfhilfe ist manchmal eben nicht mehr als gut gemeint.
Das heißt allerdings nicht, dass europaweite Trends am Brenner haltmachen: Einen Rechtsruck kann man auch in Südtirol beobachten. Nur eben bei den Listen, die die italienischsprachige Bevölkerung repräsentieren wollen. Lega-Chef Matteo Salvini, der das „Nord“ aus seinem Parteinamen gestrichen hat, tanzte wortwörtlich im Südtiroler Wahlkampf an. Er versuchte – wie die Freiheitlichen – mit dem Ausländerthema zu punkten. Und schaffte es auch. Als Regierungsmitglied in Rom kann er hier glaubhafter auftreten als die Freiheitlichen in der Südtiroler Opposition. Zusätzlich gingen ungewöhnlich viele Italienischsprachige zur Urne – während die Wahlbeteiligung insgesamt sank.
Und die Südtiroler Volkspartei? Sie verlor am Sonntag ein weiteres Stück ihrer Macht, die sie seit Jahrzehnten im Land besessen hat. Die Partei erreichte nur 41,9 Prozent der Stimmen. Am Montag tröstete man sich damit, dass das Wahlziel, also mindestens 40 Prozent, erreicht wurde. Langfristig sind niedrige Erwartungshaltungen aber kein politisches Programm.
Die Partei hat einen Konkurrenten unterschätzt: Das Team Köllensperger schaffte es überraschend auf Platz zwei. Namensgeber Paul Köllensperger, der sich von der Fünf-Sterne-Bewegung abspaltete und den moderaten Mahner gab, konnte bei der deutschsprachigen Bevölkerung Punkte sammeln. Er bot ihr eine gemäßigte Alternative zu den Grünen an, um die Opposition zu stärken. Wie gut das funktionierte, dürfte nicht nur die SVP geschreckt haben.
Das schlechte Abschneiden in den Städten legt nahe, dass die Südtiroler Volkspartei auch italienischsprachige Wähler verloren hat. Das verbindende Element, das die Partei lang sein wollte, könnte sie bald nicht mehr sein.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2018)