Glyphosat-Urteil bringt Bayer in Bedrängnis

Der Kläger Dewayne Johnson ist unheilbar an Lymphdrüsenkrebs erkrankt – und überzeugt, dass Glyphosat der Auslöser war.
Der Kläger Dewayne Johnson ist unheilbar an Lymphdrüsenkrebs erkrankt – und überzeugt, dass Glyphosat der Auslöser war.(c) APA/AFP/JOSH EDELSON
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Überraschende Kehrtwende im ersten Prozess eines Krebskranken gegen die Bayer-Tochter Monsanto: Konträr zu ihrer Ankündigung bestätigt die Richterin das Urteil der Jury und senkt nur die Strafzahlung. Die Bayer-Aktie stürzt ab.

Wien/San Francisco. Er hat vermutlich nicht mehr lang zu leben. Über viele Jahre war Dewayne Johnson dafür verantwortlich, die Grünflächen von Schulen im Raum San Francisco von Unkraut frei zu halten. Dazu sprühte er Roundup und Ranger Pro, zwei Herbizide des Saatgutherstellers Monsanto mit dem Wirkstoff Glyphosat. Heute leidet er, mit nur 42 Jahren, unheilbar an Lymphdrüsenkrebs. Und er ist überzeugt, dass Glyphosat seine Krankheit verursacht habe und Monsanto ihn hätte warnen müssen.

Der Prozess hängt wie ein Damoklesschwert über dem deutschen Chemieriesen Bayer, der Monsanto erst im Frühling übernommen hat. Es ist die erste von 8700 Klagen von Krebspatienten in den USA, die vor einem Strafgericht verhandelt wird. Der Justizkrimi erweist sich für beide Seiten als Wechselbad der Gefühle. Am Dienstag setzte es einen überraschenden Schlag gegen Bayer. Die Aktie brach um fast zwölf Prozent ein. Was ist geschehen?

Kein Knallen der Korken

Schon im August gaben die Geschworenen dem Kläger recht und forderten in Summe 289 Mio. Dollar an Strafzahlung und Schadenersatz. Schon damals brach die Bayer-Aktie ein. Das Unternehmen sah die Entscheidung im Widerspruch zu den vorgelegten Beweisen. Der Staatsanwalt habe die Geschworenen mit „emotionalen und spekulativen Argumenten“ auf seine Seite gebracht (so hieß es im Schlussplädoyer, in der Bayer-Chefetage warte man nur darauf, die „Champagnerkorken knallen zu lassen“). Die Beschuldigten forderten einen neuen Prozess. Das letzte Wort hatte die Richterin. In einem vorläufigen Urteil (einer Besonderheit des US-Strafrechts) vor knapp zwei Wochen schlug sie sich auf die Seite der Hersteller: Sie rügte den Staatsanwalt und deutete an, sie wolle den Fall neu aufrollen lassen. Aber dann erhielt sie Briefe von mindestens fünf erzürnten Geschworenen, die sich in ihrem Urteilsvermögen missachtet fühlten und beklagten, sie würden nun den Glauben an die Justiz verlieren. Vielleicht ließ sich die Richterin davon beeindrucken, vielleicht wollte sie mit dem provisorischen Urteil auch nur die Reaktionen abtesten. Auf jeden Fall vollzog sie mit dem endgültigen Verdikt eine spektakuläre Kehrtwende: Die Entscheidung der Jury ist im Prinzip zu akzeptieren, nur das Strafmaß wird gesenkt. Der Schadenersatz für Johnson bleibt bei 39 Mio. Dollar; die eigentliche Strafzahlung für das Unternehmen, die abschreckende Wirkung haben soll, wird aber stark reduziert, von 250 Mio. auf nochmals 39 Mio. – macht also in Summe 78 Mio. Dollar. Die kalifornische Verfassung verbiete, die Strafe höher anzusetzen als die Entschädigung.

Deshalb knallen bei Bayer und Monsanto aber sicher keine Korken. Das Wesentliche bleibt: Es war kein Justizirrtum, wenn die Geschworenen den Zeugen der Anklage mehr Glauben schenkten. Im Kern geht es um die Aussage eines Onkologen, der im Glyphosat-Gebrauch einen „wesentlichen Faktor“ von Johnsons Krebserkrankung sieht; schon der Ausbruch der Krankheit in so jungen Jahren sei ein deutliches Indiz. Für die Experten der Gegenseite leidet der Kläger an einem typischen „idiopathischen“ Krebs, also ohne erkennbare Ursache. Der Kläger hätte andere mögliche Ursachen ausschließen müssen, was er aber nicht konnte. So sah es anfangs auch die Richterin. Nun argumentiert sie konträr: Eben weil es keinen zwingenden Gegenbeweis zu der Einschätzung des Onkologen gab, waren die Geschworenen frei, ihm mehr Glauben zu schenken.

So spitzfindig das klingt: Das Urteil hat enorme Auswirkungen. Zwar geht von ihm keine unmittelbare Präjudizwirkung aus. Aber es gibt Tausenden Klägern Auftrieb und dürfte andere Richter beeinflussen. Wie zu erwarten, legten die Anwälte von Bayer Berufung ein. Aber Analysten werten die Chance auf einen Erfolg als niedrig.

WHO gegen den Rest

Ob Glyphosat wirklich krebserregend ist, konnte auch dieser Prozess nicht klären. Der Verkaufsschlager existiert seit 1974 und ist weltweit bis heute der am meisten eingesetzte Unkrautvernichter. Regulatoren, Risikobewertungsagenturen und Umweltbehörden halten den Wirkstoff für unbedenklich. Bayer/Monsanto verweisen auf „über 800 wissenschaftliche Studien“, die zum gleichen Ergebnis kommen. Aber es gibt eine gewichtige Gegenstimme: Die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsagentur WHO stufte Glyphosat 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ für den Menschen ein – was die Flut an Klagen in den USA ausgelöst hat. (gau)

Auf einen Blick

Das Urteil der Geschworenen im ersten Prozess um eine mögliche krebserregende Wirkung des Unkrautvernichters Glyphosat bleibt aufrecht. Die US-Richterin senkte nur das Strafmaß von 289 auf 78 Mio. Dollar. Damit droht dem deutschen Chemiekonzern Bayer, der den Glyphosat-Hersteller Monsanto gekauft hat, eine Flut weiterer Prozesse.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2018)

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