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Eine Flüchtlingskarawane als Wahlgeschenk für Donald Trump

(c) APA/AFP/ORLANDO ESTRADA
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Der US-Präsident setzt vor Kongresswahlen abermals auf eine Angstkampagne. Die Polemik gegen mittelamerikanische Migranten kaschiert sein Versagen.

Nicht, dass es der US-Politik zwei Wochen vor den Kongresswahlen an brisanten Themen mangeln würde. Wie sich Obamacare reparieren lasse, lautet nur eine Frage, die den US-Amerikanern unter den Nägeln brennt. Der Wirtschaftsboom und die Gerechtigkeitsfrage treiben die anderen um. Und nicht zuletzt: Wie steht es um die Beziehungen der Trump-Regierung zum saudischen Königshaus? Der US-Präsident und Jared Kushner, sein Berater und Schwiegersohn, üben sich im Fall Khashoggi in rhetorischen Verrenkungen, die in einem Schwitz-Yoga-Kurs für Fortgeschrittene einem alles abverlangen würden – nur um die kaprizierten Alliierten in Riad bei der Stange zu halten und die Milliarden-Dollar-Deals nicht zu gefährden.

Doch was ist das schon gegen eine Karawane von rund 7000 Migranten, die sich im Schneckentempo aus Honduras über die mexikanische Grenze in die Provinz Chiapas wälzt, 2000 Meilen vom Rio Grande und der US-Grenze entfernt? Via Twitter proklamierte Trump rein prophylaktisch bereits den Notstand und kündigte die Entsendung des Militärs an – so, als stünden die Migranten vor den Vorgärten San Diegos und El Pasos oder gar den Pforten des Weißen Hauses. Im Talkradio und in den ultrarechten Foren dröhnt es von einer „Invasion“. Trump drohte den mittelamerikanischen Staaten mit Streichung der Entwicklungshilfe. Obendrein fabulierte er von einem „Angriff“, unter anderem von potenziellen Terroristen aus dem Nahen Osten, die sich in die Menge geschmuggelt hätten – und blieb dafür, wie so oft, den Beweis schuldig.

Der Präsident verfolgt ein zynisches Kalkül: Die Flüchtlinge aus Zentralamerika kommen ihm wie gerufen – ein Wahlgeschenk für einen Populisten und „Nationalisten“, wie er sich jüngst wieder charakterisiert hat. Er instrumentalisiert sie für die Angstkampagne auf seiner Tour kreuz und quer durch die USA, um die „Trump-Wähler“ und die republikanischen Wähler für die sogenannten Midterm Elections am 6. November zu mobilisieren – die zugleich auch ein Votum über seine Präsidentschaft sind. Dabei hat die umstrittene Berufung des Richters Brett Kavanaugh nicht nur die Demokraten aufgestachelt, sondern auch die Republikaner.

Für die nationale Sicherheit der USA stellt die Karawane nämlich keine Gefahr dar. Trump schürt so nur die Hysterie. Jedes Jahr macht sich, gewiss in kleinerem Umfang, ein Marsch aus Mittelamerika auf den Weg nach Mexiko, auf der Flucht vor Bandenkriminalität, Korruption und Armut – und die wenigsten Migranten kommen bis zum Rio Grande, geschweige denn ins verheißene Dorado, in die USA. Viele versuchen ihr Glück aufs Neue, wie jene afrikanischen Flüchtlinge in den Maghreb-Staaten, die das große Los in Europa wittern.

Klar ist, dass die Mittelamerikaner mit ihrem öffentlichkeitswirksamen Zug kein Anrecht für einen legalen Zugang in die USA erwirken – zumal der Nachahmungseffekt in ihrer Heimat groß sein könnte. Der Zuzug aus Mexiko ist eingedämmt, der aus Zentralamerika rollt an. Für eine geregelte Einwanderung in die Immigrantennation USA brauchte es indes eine kluge Einwanderungsreform, die – meist blockiert von den Republikanern – bisher allerdings in den Ansätzen stecken geblieben ist. Parteiübergreifende Initiativen sind mehrmals gescheitert.

Trumps Polemik verschleiert indessen sein eigenes Versagen. Das Versprechen, eine durchgängige Mauer an der mexikanischen Grenze zu errichten, hat es vor zwei Jahren im Präsidentschaftswahlkampf vom Gag zum absoluten Nummer-eins-Hit gebracht. Bisher ist allerdings kein einziger Meter neu gebaut worden, und im Budget ist dafür, sehr zum Zorn des Präsidenten, auch kein Etat vorgesehen. Die vollmundige Ankündigungspolitik des großen Bauzampanos ist im Sand verlaufen – oder besser: im Treibsand der Realpolitik untergegangen, begraben zu einem Gutteil auch von den eigenen Republikanern.

Nach Stand der Dinge wird das milliardenteure Projekt auch künftig nicht vom Fleck kommen. Da ist es billiger, einen Angstwahlkampf zu betreiben, die Wähler mit Fake News für dumm zu verkaufen – mit dem Effekt, die US-Latinos als wichtige Minderheit vollends in die Arme der Demokraten zu treiben.

E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2018)