Türkei/Saudiarabien: Erdoğans riskantes Spiel

„Unter wessen Befehl sind diese Leute hierhergekommen?“, fragt Erdo?an und spielt auf den saudischen Kronprinzen an.
„Unter wessen Befehl sind diese Leute hierhergekommen?“, fragt Erdo?an und spielt auf den saudischen Kronprinzen an. (c) REUTERS
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Der türkische Präsident spricht im Fall Khashoggi offen von Mord – und geht auf Konfrontationskurs mit dem saudischen Kronprinzen. Offenbar setzt er auf Machtwechsel.

Ankara. Der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, geht auf direkten Konfrontationskurs zum saudischen Kronprinzen, Mohammed bin Salman, wegen der Ermordung des Dissidenten Jamal Khashoggi: Drei Wochen nach Khashoggis Tod im saudischen Konsulat in Istanbul warf Erdoğan Riad am Dienstag einen „geplanten Mord“ an dem regimekritischen Journalisten vor und verlangte die Bestrafung aller Beteiligten inklusive der Auftraggeber. Ausdrücklich sprach Erdoğan dem saudischen König Salman sein Vertrauen aus – aber nicht dem Kronprinzen, den eigentlichen starken Mann des Königreichs. Mit Erdoğans Rede verschärft sich der regionale Machtkampf zwischen der Türkei und Saudiarabien.

Erdoğan lässt Rede übersetzen

Der türkische Präsident hatte sich bisher mit öffentlichen Schuldzuweisungen zurückgehalten. Stattdessen hatten seine Sicherheitsbehörden gezielt Informationen über das mutmaßliche Verbrechen vom 2. Oktober an die türkische und internationale Presse durchsickern lassen, um den Druck auf Riad zu erhöhen. Mit der Rede am Dienstag gab Erdoğan seine bisherige Haltung auf. Ankara ließ die Rede des Präsidenten vor der Parlamentsfraktion seiner Regierungspartei AKP in Ankara in englische und arabische Sprache übersetzen, um eine möglichst weite Verbreitung zu erreichen. Er wandte sich mit seinen Anschuldigungen direkt gegen die Darstellung Riads, wonach Khashoggis Tod „ein Unfall“ gewesen war und Untergebene des Kronprinzen ohne Wissen der Führung gehandelt hatten.

Er beschrieb ein saudisches Killerkommando aus 15 Männern, die einen Tag vor dem Mord in Istanbul angekommen seien. Einige von ihnen hätten im Konsulat die Tat vorbereitet, während andere in ein Waldgebiet bei Istanbul gefahren seien – möglicherweise, um einen Ort zur Entsorgung der Leiche auszukundschaften. Unter anderem bauten die Täter demnach die Festplatten der Überwachungskameras im Konsulat aus. Um die Tat weiter zu verschleiern, täuschte ein saudischer Doppelgänger Khashoggis vor, dass der Dissident die Vertretung wieder verlasse. Khashoggis Leiche ist bis heute nicht gefunden worden. Die Polizei sucht nach einem türkischen Komplizen der Täter, der bei der Beseitigung der Leiche geholfen haben soll. Erdoğan verlangte, die Beschuldigten sollten in der Türkei verhört und vor Gericht gestellt werden. „Unter wessen Befehl sind diese Leute hierhergekommen?“, fragte er. Damit spielte er darauf an, dass enge Mitarbeiter von Kronprinz Mohammed an der Tat beteiligt gewesen sein sollen.

„Dass eine solche Angelegenheit auf ein paar Sicherheits- und Geheimdienstleute abgewälzt werden soll, überzeugt die Öffentlichkeit nicht“, betonte er, wobei er König Salman ausdrücklich von jedem Verdacht ausnahm: „Ich habe keinen Zweifel an der Aufrichtigkeit von König Salman.“ Obwohl er Thronfolger Mohammed mit keinem Wort erwähnte, zielte der Präsident vor allem auf den 33-jährigen Prinzen. Auch der Zeitpunkt seiner Rede deutete darauf hin: Am Dienstag begann in Riad eine Investorenkonferenz, bei der Saudiarabien internationale Anleger für ein ehrgeiziges wirtschaftliches Reformprojekt des Kronprinzen sucht. Erdoğans Ruf nach Auslieferung der Verdächtigen und nach Ermittlungen in Saudiarabien, die „von oben bis unten“ alle staatlichen Stellen unter die Lupe nehmen sollen, zeigen: Die Türkei wird versuchen, den Druck auf Riad aufrechtzuerhalten.

Damit wird deutlich, dass Ankara den Fall Khashoggi in der Konkurrenz mit Riad im Nahen Osten einsetzen will. Die Beschreibungen der barbarischen Tat haben dem Ruf von Saudiarabien bereits sehr geschadet. Gleichzeitig ist Erdoğans Kritik an der saudischen Regierung auch ein Zeichen der Unterstützung für die Muslimbruderschaft. Saudiarabien betrachtet die islamistische Bewegung als Terrorgruppe, doch die Türkei beschützt die Muslimbrüder. Mit seinen Angriffen auf Kronprinz Mohammed, der für eine scharfe antitürkische Haltung bekannt ist, will Erdoğan nach Auffassung einiger Beobachter eine Entlassung des Thronfolgers durch König Salman erreichen.

Regierungsnahe Zeitungen in der Türkei fordern bereits seit Tagen, der saudische Thronfolger müsse gehen. Derzeit gilt eine solche Demission als sehr unwahrscheinlich, doch auch im US-Kongress ist bereits die Forderung nach einer Entmachtung des Thronfolgers laut geworden.
Erdoğans Taktik ist riskant. Wenn Kronprinz Mohammed den Skandal übersteht, muss die Türkei mit einem Mann zurechtkommen, der einen tiefen Groll gegen die Türkei hegt, der jedoch möglicherweise jahrzehntelang auf dem saudischen Thron sitzen wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2018)

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