Die Vertreter der Arbeitnehmer würden systematisch aus den Institutionen der Republik gedrängt, beklagt die Arbeiterkammer. Die Wirtschaft dürfe dagegen bleiben.
Wien. Während die Regierung die Reform der Sozialversicherungsanstalten fixiert, beklagt die Arbeiterkammer, dass die Vertretung der Arbeitnehmer zunehmend an den Rand gedrängt wird. Es sei durchaus legitim, wenn die Regierung sage, sie wolle die Sozialpartner nicht als Nebenregierung haben, sagte Arbeiterkammer-Direktor Christoph Klein am Mittwoch. Aber: Die Regierung dränge die Arbeitnehmerseite systematisch aus den Institutionen der Republik, während „die Wirtschaft in der Mitte sitzen bleibt und sogar zusätzlichen Einfluss bekommt“. Dadurch entstehe eine Schieflage, die dem Land nicht guttue. Ein Erfolgsrezept der Zweiten Republik werde so gefährdet.
Klein nannte sieben Beispiele für die Schwächung von Arbeitnehmerinteressen durch die Regierung. An erster Stelle steht die Sozialversicherungsreform, die er als „Entmachtung der Arbeitnehmer in ihrer eigenen Krankenversicherung“ bezeichnet. Aber auch im Insolvenzausgleichsfonds sei der Arbeitnehmervertreter aus dem Aufsichtsrat entfernt worden, während die Wirtschaftsvertreter blieben.
Wirtschaftskammer darf bleiben
Im Generalrat der Nationalbank gibt es ebenfalls keine Vertretung der Arbeitnehmerseite mehr, obwohl Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer Präsident des Generalrats wurde. In der Schienen Control wurde das Mandat des Aufsichtsrats aus der Arbeiterkammer vorzeitig beendet, in der neu gegründeten Digitalisierungsagentur die Arbeiterkammer gar nicht berücksichtigt.
„Es geht uns nicht um Posten“, sagt Klein. Da handle es sich ohnehin meist um unbezahlte Funktionen. Sondern es gehe um die Vertretung von Arbeitnehmerinteressen. Am Beispiel der Digitalisierungsagentur: Es sei geradezu absurd, die Arbeitnehmer hier nicht zu hören, werde doch die Digitalisierung den Arbeitsmarkt tief greifend verändern. Oder die Nationalbank: Zins- und Lohnpolitik würden eng zusammengehören, eine Einbindung der Arbeitnehmerseite in die volkswirtschaftliche Debatte auf höchster Ebene gehöre zum österreichischen Erfolgsrezept, in der Lohnpolitik die gesamtwirtschaftliche Entwicklung im Auge zu behalten.
Noch gibt es keine Beschlüsse der Arbeiterkammergremien, doch eine Klage gegen die Reform der Sozialversicherungsanstalten scheint recht wahrscheinlich. Durch die paritätische Besetzung der Entscheidungsgremien und die gesetzlich festgelegte Dominanz der Arbeitgeberseite in der wichtigen Übergangsphase würden sieben Millionen Arbeitnehmer und ihre Angehörigen „unter die Kuratel von 155.000 Arbeitgebern gestellt“, begründet Klein die Verfassungswidrigkeit. Dies sei umso unverständlicher, als in der Beamtenversicherung die Arbeitnehmer selbstverständlich die Mehrheit in den Gremien behalten. „Das ist sachlich nicht argumentierbar, sondern nur mit der politischen Interessenlage erklärbar.“
Ausbildungstests
Auch die geforderten Ausbildungstests für Sozialversicherungsfunktionäre sieht man kritisch. Es sei seltsam, dass es solche Vorgaben für gewählte Funktionäre in der Selbstverwaltung geben soll, aber nicht in der staatlichen Verwaltung. Warum nicht auch für Minister, Abgeordnete oder Bürgermeister, fragte Klein, der von einer verfassungsrechtlich bedenklichen Disziplinierungsaktion gesprochen hat.
Bei der Arbeiterkammer geht zudem die Sorge um, dass es auf absehbare Zeit zur breiten Einführung von Selbstbehalten beim normalen Arztbesuch kommt. Darauf deute ein eigener Selbstbehalteparagraf im Gesetzespaket der Regierung.
Für die Festlegung von Selbstbehalten ist künftig nämlich der Dachverband zuständig, in dem jene vier Sozialversicherungsträger, in denen es jetzt schon Selbstbehalte gibt (Beamte, Bauern, Eisenbahner, Wirtschaft), gegen die Stimmen der Krankenkassenvertreter auch dort Selbstbehalte einführen könnten. „Die Versicherten können überstimmt werden“, befürchtet Christoph Klein.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2018)