Die Reform wurde im Ministerrat abgesegnet. Eine emotionale Debatte folgte im Nationalrat, die Kritik reißt nicht ab. Die Sozialministerin spricht von „Schreckgespenstern“.
Wien. Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) versuchte mehrmals, ihre Rede zu beginnen – und es dauerte einige Zeit, bis die Parlamentarier ihre Emotionen unter Kontrolle hatten und es dafür ruhig genug wurde. Der Grund: Die leicht adaptierte Strukturreform der Sozialversicherungsträger wurde am Mittwoch im Ministerrat beschlossen und war danach Thema im Nationalrat.
Ab 1. Jänner 2020 sollen die derzeit 21 Sozialversicherungsträger zu fünf verschmolzen werden. Das Herzstück der Reform: Die neun Gebietskrankenkassen sollen zu einer Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) zusammenwachsen.
Die Kritik an den Plänen war in den vergangenen Wochen groß. Etwa weil Arbeitnehmer und Arbeitgeber in den Aufsichtsgremien paritätisch besetzt werden sollen – Kritiker sehen da eine Verfassungswidrigkeit. Oder weil künftig die Finanz Sozialversicherungsbeiträge einheben und auch prüfen soll. Auch das sei ureigenste Aufgabe der Selbstverwaltung hieß es. Verfassungsklagen wurden von mehreren Seiten angekündigt – etwa von der Arbeiterkammer.
Auch das angekündigte Einsparungspotenzial von einer Milliarde Euro wurde vielfach kritisiert – Rechenspiele betrieben in den vergangenen Wochen sowohl Anhänger wie Gegner der Reform. Experten fanden sich jeweils für die eine oder andere Version der Geschichte.
Zahlenspiele
Hartinger-Klein kündigte an, dass „Schreckgespenster, die durch die Medien geistern“, verscheucht werden sollen. Sie versicherte in ihrer etwas holprigen Rede, dass die versprochene Einsparung von einer Milliarde Euro möglich sei. Genaue Berechnungen liegen dieser Annahme aber nicht zugrunde, wie man auch in Regierungskreisen einräumt.
Es handle sich um „Schätzungen diverser Experten“ beziehungsweise ungefähre Zahlenwerte, die man etwa „aus der Studie der London School of Economics zur Kassenreform übernommen“ habe, hieß es in den türkis-blauen Kabinetten.
Der Rechnungshof hatte die Darstellungen kritisiert. Dieser habe „nicht gesehen, dass wir das Geld im System lassen“, sagte ÖVP-Klubchef August Wöginger. Vorwürfe, die Reform sei verfassungswidrig, würden „so zusammenbrechen wie derzeit Ihre Parteistruktur“, sagte er Richtung SPÖ. Deren Parteivorsitzende, Pamela Rendi-Wagner, legte dar, warum ihre Fraktion nicht zustimmen werde. „Wo ist der Vorteil für die Versicherten?“, fragte sie. Weder würden sich Wartezeiten verkürzen noch die Qualität der Behandlungen besser werden. Im Gegenteil bleibe eine Mehr-Klassen-Medizin.
„Die Zähne und die Psyche eines burgenländischen Bauarbeiters sind nicht weniger wert als Ihre“, sagte Rendi-Wagner zu Hartinger-Klein. Die Beamtenversicherung bleibt von den Reformplänen weitgehend unberührt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2018)