Im Hinterstübchen Hollywoods

Ungewohnt sexuelle Untertöne am Beginn der McCarthy-Ära: „Gun Crazy“ (1950).
Ungewohnt sexuelle Untertöne am Beginn der McCarthy-Ära: „Gun Crazy“ (1950).(c) Filmmuseum
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Die Schau des Österreichischen Filmmuseums widmet sich ab 25. 10. einer zu Unrecht verschrienen Kinogattung des klassischen Hollywood-Studiosystems: dem B-Film.

Woran denken Sie, wenn Sie den Begriff B-Movie hören? Die Chancen, dass es etwas Gutes ist, stehen eher schlecht. Wie eine beschwerliche Fußfessel hängt das böse „B“ am wertneutralen „Movie“ und verströmt den Ruch von Minderwertigkeit. „B“ heißt billig, bedauernswert: Eigentlich wollte man Plan A im Kino sehen, der war leider ausverkauft, weshalb man zähneknirschend auf Plan B auswich – die zweite Wahl, den Notnagel, das Substitut.

Filmhistorische Gattungsbezeichnungen können ziemlich fies (und irreführend) sein. Denn billig waren B-Movies nur in Bezug auf ihre kostenschonende Herstellung. Sonst sprühten sie oft vor Esprit, Elan und Einfallsreichtum – auch, weil sie gezwungen waren, aus budgetären Nöten Tugenden zu machen. Davon kann man sich bei der Filmmuseum-Retrospektive der Viennale ein umfassendes und schillerndes Bild machen.

Zugegeben: „The B-Film“ (so der Titel der Retro, die nach dem Festival bis 8. 11. weiterläuft) hat einst als Nebenattraktion gegolten. Aus durchwegs ökonomischen Gründen entwickelte sich im Hollywood der 1930er-Jahre die Praxis des „double bill“, der Doppelvorführung zweier Filme zum Preis von einem. Dabei lief anfangs ein prestigeträchtiges, starbesetztes Qualitätsprodukt, gefolgt vom glanzlosen Rausschmeißer, den Kinobetreiber günstig dazubuchen konnten (oder gleich von den großen Studios aufgebrummt bekamen).

B-Regisseure hatten viel Narrenfreiheit

Meist waren es reißerische Genrestreifen, deren Plakate mit Sex und Gewalt warben – die aber wesentlich unberechenbarer waren als ihre A-Widerparts. Denn der einzige Anspruch, den Produzenten an B-Regisseure stellten, war Effizienz: die Fähigkeit, einen halbwegs präsentablen Film in zwei Wochen fertigzustellen. Wer das konnte, genoss im Bereich der Inszenierung relative Narrenfreiheit. Daher finden sich unter den B-Regisseuren so viele begnadete Handwerker – und einige verkappte Avantgardisten.

Auch in puncto Themenwahl, Motivik und Typenzeichnung saßen die Zügel hier lockerer als anderswo. Eine dermaßen ungezähmte, freigeistige und gefährliche Frauenfigur wie die von Ann Savage gespielte Anhalterin aus Edgar G. Ulmers Minithriller „Detour“ wird man in Großfilmen jener Zeit vergeblich suchen. B-Movies brachen nicht nur Tabus, sie gewährten auch einen Blick ins unheimliche Hinterstübchen der Traumfabrik – und dort wimmelt es nur so vor Wahnsinn und Paranoia, Persönlichkeitsstörungen und Zwangsneurosen.

Diese waren oft Ausdruck gelebter Leidenserfahrungen. Viele europäische Exilfilmkünstler landeten beim B-Film, etwa Ulmer oder Peter Lorre. In „The Face behind the Mask“ gibt Letzterer einen Ungarn, dessen Gesicht kurz nach der Ankunft in den USA bei einem Brand entstellt wird. Ausgrenzung treibt den Unglücklichen in die Unterwelt: Ein tragischer Gangsterfilm als Migrationsparabel, die kaum an Aktualität verloren hat. Sein weibliches Pendant findet sich in „Weird Woman“, in dem die „exotische“ Frau eines Anthropologen von missgünstigen Bildungsbürgern drangsaliert wird.

Wie ein Zauberhut verwandelte das B-Kino Traumata und Komplexe aller Art in nicht immer glaubwürdige, aber stets faszinierende Geschichten. Zuweilen eskalierte die Triebsymbolik auch: In „The Devil Bat“ dreht ein neidvoller Wissenschaftler (Bela Lugosi) seinen Opfern Rasierwasser an, das mörderische Fledermäuse anlockt. Vielleicht hätte ihm ja der Seelenklempner aus „Blind Alley“ helfen können, der von einem Killer als Geisel genommen wird – und selbigen per Psychoanalyse unschädlich macht.

Solche Schrulligkeiten trugen wesentlich zum Trash-Leumund des B-Films bei. Doch ab den 1950ern wurde er verstärkt zum offenen Experimentierfeld, das Noir-Meisterwerke wie „Gun Crazy“ und „Murder by Contract“ hervorbrachte. Der formale Wagemut dieser Arbeiten (eine ungebrochene Plansequenz hier, ein minimalistischer Gitarrensoundtrack da) gereichte den Bilderstürmern des New Hollywood und der Nouvelle Vague zum Vorbild. Sie wussten, das „B“ eigentlich für „besonders wertvoll“ steht. Viele Filme der Schau laufen übrigens Seite an Seite im Double Feature – denn eine Qualität, die sie Gegenwartsblockbustern unbestreitbar voraushaben, ist ihre Kürze.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2018)

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