Der Volkstribun im Weißen Haus und der Furor seiner Ultra-Fans

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US-Präsident Trump entfesselt mit Twitter-Tiraden und populistischer Rhetorik die Kräfte der Destruktion. Die Früchte des Zorns finden ihren Niederschlag.

Neuerlich kommt die Nation zu Mahnwachen zusammen, in Schock, Schmerz und Trauer vereint wie nach zahllosen anderen Amokläufen und Massakern in Schulen, Universitäten und Kirchen. Diesmal ist es allerdings ein wenig anders. Denn diesmal traf es die jüdische Gemeinde, die sich in den USA doch in großer Sicherheit wiegen durfte. Davon zeugt die Aussage der 15-jährigen Sophia Levin aus Pittsburgh, für die Antisemitismus bisher der Vergangenheit angehörte – oder sich in anderen Teilen der Welt abspielte, wie sie zu Protokoll gab. Diese Gewissheit ist nach dem schwersten Angriff auf Juden in der Geschichte der USA, nach dem Sabbat-Massaker in der „Tree of Life“-Synagoge, indessen wohl vorbei.

Die Nation hoffte auf heilende Worte des Präsidenten, auf Worte des Trosts und Zuspruchs. Und tatsächlich reagierte Donald Trump mit sichtlicher Betroffenheit auf das Schussattentat auf die Synagoge, auf „das Gift und die Geißel des Antisemitismus“, wie er sagte. Aus ihm sprach der Großvater dreier Enkel, die als Kinder seiner Tochter Ivanka und seines Schwiegersohns Jared Kushner im jüdischen Glauben aufwachsen. Dass sich der Anschlag während einer Namensgebungszeremonie ereignet hatte, rührte sein Herz.

Es wäre aber nicht Donald Trump, hätte er lang innegehalten wie seine Vorgänger in ähnlichen Fällen. Er erwog zwar eine kleine Wahlkampfpause, entschloss sich dann aber doch, weiter auf Tour zu gehen, um seine Anhänger eine Woche vor den Kongresswahlen aufzustacheln – Leute wie Cesar Sayoc, den fanatischen Trump-Aficionado und Paketbomben-Bastler, von denen er nun plötzlich nichts mehr wissen will. Der Präsident lässt sich mitreißen von seinen Fans, von den Sprechchören – und er feuert sie an mit seinen Schmähtiraden gegen seine Gegner und die Medien, die sogenannten Volksfeinde.

So gibt er zwar vor, an die Einheit der US-Bürger zu appellieren, bewirkt jedoch das genaue Gegenteil – die Spaltung des Landes, die bereits so weit fortgeschritten ist, dass aufgescheuchte Kolumnisten vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen warnen. Keine Rede davon, die Rhetorik zu dämpfen, wie Trump angekündigt hatte; und schon gar kein Wort der Selbstkritik. Stattdessen ergeht er sich in Schuldzuweisungen gegen die Medien, in Forderungen nach rascherer Vollstreckung der Todesstrafe, in Polemik gegen die Flüchtlingskarawane in Mexiko und in einer Suada für das Waffenrecht nach Gusto der Waffenlobby NRA.

Die erneut aufgeflammte Kontroverse um restriktivere Waffengesetze wird neuerlich verpuffen – wie nach dem vorweihnachtlichen Massaker an der Sandy-Hook-Grundschule 2012 in Connecticut oder nach der Valentinstag-Schießerei heuer an der Highschool in Parkland (Florida). Auch auf demokratischer Seite finden sich genug Waffenfreunde, die den Status quo aufrechterhalten.

Die Schuld an der Polarisierung im Land mag nicht allein bei Donald Trump liegen. Sie existierte unter Nixon, Reagan, Clinton, George W. Bush und Obama. Doch unter dem 45. US-Präsidenten hat sie eine neue Qualität und Dimension erreicht. Als im Vorjahr in Charlottesville unter anderem der Ku-Klux-Klan mit antisemitischen Parolen aufmarschierte, distanzierte sich der Präsident nur halbherzig. Selbst hochrangige Mitarbeiter im Weißen Haus waren entsetzt. Trump selbst bezeichnete seine Beschwichtigungsrede als bis dato größten Fehler seiner Präsidentschaft.

Es war der Keim für den Furor. Auf einmal fühlten sich rechte Nationalisten, Rassisten, Verschwörungstheoretiker, Rechtsextreme bis hin zu Neonazis, die Republikaner allenfalls mit zugehaltener Nase wählen, in ihren Ressentiments und Wahnideen bestärkt und bestätigt. Trump kennt kaum ein Tabu, und er entfesselt in seinen Twitter-Tiraden und im Gestus eines Volkstribuns Wut, Hass und die Kräfte der Destruktion.

Die Früchte des Zorns finden ihren Niederschlag im Anstieg des Antisemitismus und in Briefbomben. Kaum verdächtigte Trump – wie in Ungarn oder Italien – den jüdischen Investor George Soros ohne Indiz als Sponsor des Migrantenmarschs in Mexiko, bekam dieser Bombenpost zugestellt. Wer wollte bestreiten, dass darin ein Zusammenhang besteht?

E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2018)

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