Deutschland: Merkels langsamer Abgang

Merkel verabschiedet sich von der Politik.
Merkel verabschiedet sich von der Politik.(c) APA/AFP/ODD ANDERSEN
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Der Entschluss war lang gefällt, nur der Zeitpunkt der Bekanntgabe war spontan: Nach 18 Jahren an der Spitze der CDU, nach 13 Jahren im Kanzleramt gibt Angela Merkel ihre Macht ab. Und jetzt?

Berlin. Jetzt stehe sie also wieder hier, sagt Angela Merkel. Nach langen Überlegungen, mit einer endgültigen Entscheidung. So wie vor zwei Jahren, als sie in der CDU-Zentrale verkündet hat, noch einmal für das Bundeskanzleramt zu kandidieren. An diesem Montagnachmittag gibt sie bekannt, dass es das letzte Mal war.

Merkel verabschiedet sich von der Politik. Nach 18 Jahren als Parteichefin und 13 Jahren an der Spitze der Regierung gibt sie ihre Macht ab. Stück für Stück: Am 7. und 8. Dezember soll beim CDU-Parteitag in Hamburg ihre Nachfolge offiziell geregelt werden. Im Bundeskanzleramt wird Merkel bleiben – so lang, wie es die Große Koalition noch gibt. Spätestens im Jahr 2021 ist Merkels politische Karriere beendet. Endgültig, wie sie betont. Sie werde auch kein Amt in Brüssel übernehmen. Was dann? „Ich habe jetzt keine Sorge, dass mir nichts einfällt“, sagt sie. Merkel muss bei dem schwierigen Auftritt im Konrad-Adenauer-Haus zwar ein paar Mal schlucken. Ihr trockener Humor regiert aber weiter.

„Es gibt Entscheidungen, bei denen es niemandem hilft, wenn man ihn vorher informiert“, sagt Merkel. Diese hier war so eine. Es gibt wenige, die von dem Zeitpunkt nicht überrascht waren. Am Vormittag war Merkel in die Parteizentrale gekommen, um den Vorstand zu informieren. Kurz zuvor hatte sie noch die Chefs ihrer Koalitionspartner informiert: Andrea Nahles für die SPD, und Horst Seehofer von der CSU. Und ihre Generalsekretärin, Annegret Kramp-Karrenbauer? Nein, sie habe nichts gewusst.

„AKK“ gegen Jens Spahn

Der Name fällt in den folgenden Minuten öfter. Merkel nennt ihn als Beispiel für Erfolge der CDU, als „AKK“ (so nennt sich die Frau mit dem sperrigen Namen) als Ministerpräsidentin im Saarland bei der Landtagswahl fast 41 Prozent geholt hat. Aber auch Journalisten sprechen Merkel auf die jetzige Generalsekretärin an. Die Kanzlerin hat sie immerhin in die Parteizentrale geholt, in der der Weg zum CDU-Chefinnenbüro kein weiter ist. Eine explizite Empfehlung für ihre Nachfolge will Merkel aber nicht abgeben. Das habe schon in der Vergangenheit nicht funktioniert, meint sie.

Kramp-Karrenbauer gab in der Vorstandssitzung aber bekannt, für den Parteivorsitz kandidieren zu wollen. Ein weiterer Bewerber beobachtete Merkel und ihre Stellungnahme von einem oberen Stockwerk: Jens Spahn, Gesundheitsminister, Merkel-Kritiker und Parteikonservativer. Laut „Bild“ soll auch der frühere CDU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz Ambitionen haben. Offiziell ist es allerdings nicht. Gut möglich, dass er noch seine Chancen testen will. Anfang Dezember ist es also nicht nur eine Abstimmung über eine Person, sondern auch eine über die Zukunft der Christdemokraten, die Ausrichtung der Partei.

Denn so, wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen. Das sagt immerhin Merkel selbst – und daher habe sie den Entschluss gefasst, ihre Entscheidung jetzt zu kommunizieren. Geplant habe sie es erst für kommende Woche, nach einer zweitägigen Gremiensitzung ihrer Partei. Nach all dem Streit in der Bundesregierung, nach den Verlusten in Bayern – und der Niederlage in Hessen am Sonntag „kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen“, sagt Merkel. Das Bild, das die Koalition abgibt, „ist inakzeptabel“. Als Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende „trage ich schon qua Amt die Verantwortung für alles“. Daher sei es Zeit, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Eines, das nicht Merkel im Titel trägt. „Diese Zäsur sollten wir alle als Chance sehen.“

Auch SPD und CSU müssen kooperieren

Den Entschluss, nicht mehr beim Parteitag zu kandidieren, habe sie schon vor der Sommerpause gefällt. Der Konflikt in der Regierung sei aber nicht der ausschlaggebende Grund dafür gewesen. Merkel habe beschlossen, nicht noch einmal als Kanzlerin zu kandidieren. Um ihre Nachfolge Stück für Stück zu klären, wollte sie daher zuerst den CDU-Vorsitz abgeben. Auch, wenn sie eine Ämtertrennung bisher abgelehnt habe.

Bundeskanzlerin will sie also weiterhin bleiben. Wie die Koalition arbeitet, hängt aber auch vom neuen Parteichef (oder der neuen Chefin) ab. „Ich habe bewiesen, dass ich mit vielen Menschen zusammenarbeiten kann“, sagt Merkel dazu. Die SPD wird es allerdings auch können müssen. Der Koalitionspartner will über einen neuen Arbeitsmodus in der Großen Koalition beraten. Und dann wäre da noch ein anderer Partner, die CSU: Die Bayern haben aber noch ihre eigenen Personaldebatten vor sich.

Auf einen Blick

Angela Merkel gab am Montag bekannt, beim CDU-Parteitag am 7. und 8. Dezember nicht mehr als Vorsitzende zu kandidieren. Bisher war man davon ausgegangen, dass sie antreten würde – auch, weil Merkel auf Nachfrage stets betont hatte, für die volle Legislaturperiode als Bundeskanzlerin zur Verfügung zu stehen. Eine Ämtertrennung (von CDU-Vorsitz und Regierungschefposten) hatte sie bisher abgelehnt. Nun will Merkel aber ihre Macht schrittweise abgeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2018)

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