Wie kommen Betroffene von Menschenhandel zu ihren Rechten; wie haben sie Anspruch auf Schadenersatz? Diesen Fragen ging eine Konferenz in Wien nach.
Wien. Eine Baufirma beauftragte ein Subunternehmen, um auf einer großen Baustelle die Elektroinstallationen durchzuführen. Der Subunternehmer warb dafür Arbeitskräfte aus Ungarn an, denen ein Vertrag über 1400 Euro Lohn vorgelegt wurde. Allerdings stellte sich später heraus, dass sie jeden Monat 900 Euro wieder an den Arbeitgeber zurückbezahlen mussten. Als sie sich zu wehren begannen, wurden sie bedroht.
So schildert die Wiener Beratungsstelle für Männer als Betroffene des Menschenhandels ein Beispiel, das aus Österreich stammt: Menschen werden mit verlockenden Versprechungen ins Ausland – in diesem Fall nach Österreich – geholt. Doch was zu Beginn nach einem guten Job klingt, stellt sich als ausbeuterische Situation dar, der Betroffene nur schwer entkommen können.
Werden Männer Opfer von Menschenhändlern, dann geht es in erster Linie um Arbeitsausbeutung im Bauwesen oder in der Lebensmittelproduktion. Frauen werden in die Prostitution gedrängt, in die Altenpflege oder als Haussklaven missbraucht. Doch was erwartet Betroffene von Menschenhandel, die als solche identifiziert und befreit werden können? Haben sie Rechte, und wie können sie davon Gebrauch machen? Diesen Fragen ging am Montag eine Konferenz der österreichischen Taskforce Menschenhandel nach, die in der Wiener Hofburg anlässlich des EU-Aktionstags gegen Menschenhandel abgehalten wurde.
Gutes Regelwerk
„Den Betroffenen ist nicht nur der Lohn entgangen, sie wurden auch ihrer Freiheit beraubt. Es geht also um mehr als nur um materiellen Schaden“, erklärt Maria Grazia Giammarinaro, Sonderberichterstatterin für die Bekämpfung des Menschenhandels der Vereinten Nationen und seit Langem mit diesem Thema befasst. Zwar gebe es gutes internationales Vertragswerk und eine Gesetzgebung, so Giammarinaro, die Umsetzung liege aber bei den einzelnen Staaten – und da gebe es noch sehr viel zu tun. Nur selten werde den Opfern auch Schadenersatz zugesprochen – ein Grundrecht der Opfer.
Ähnliches berichtet auch Valiant Richey von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Er arbeitete 13 Jahre lang als Staatsanwalt in den USA und habe da festgestellt, dass das Strafsystem nicht auf die Rechte von Betroffenen eingestellt sei. Opferrechte würden in Konflikt mit der Strafverfolgung stehen, sagt er. „Wir wollen die Opfer vor Gericht zerren, um eine Strafverfolgung der Täter zu ermöglichen“, so Richey. Die Betroffenen wollten aber in den meisten Fällen nur, dass ihnen jemand zuhört, sich von ihrer Tortur erholen, eine Wohnung und dann wieder Arbeit.
Wichtig ist, dass Betroffene so früh wie möglich als solche identifiziert werden könnten, darin sind sich alle Experten einig. Doch das sei nicht immer einfach, weil die Grenzen zwischen Opfer und Täter oft sehr verschwommen und Opfer mitunter auch in kriminelle Aktivitäten verwickelt seien. Sind die Betroffenen EU-Bürger, werden sie meist noch seltener erkannt, auch darin sind sich alle Experten einig.
Betroffene großteils aus EU
Warum ist das so? Einerseits liege der allgemeine Fokus derzeit auf dem Thema Migration, daher werde besonders in diesem Zusammenhang auf Opfer von Menschenhandel geschaut. Doch EU-Bürger machen den Großteil der Betroffenen aus – Elektriker aus Ungarn (wie eingangs erwähnt), Pflegerinnen aus der Slowakei, Zwangsprostituierte aus Bulgarien oder Bettler aus Rumänien, um nur einige Beispiele zu nennen.
Personenfreizügigkeit in der EU hin oder her: Rund zwei Drittel der Opfer von Menschenhandel in den EU-Mitgliedstaaten kommen aus einem anderen EU-Land.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2018)