Die Fake News von gestern

Eine der wohl bekanntesten Fälschungen zu Propagandazwecken: die Hitler-Totenkopf-Marke.
Eine der wohl bekanntesten Fälschungen zu Propagandazwecken: die Hitler-Totenkopf-Marke.Sammlung Rauch/Interfoto/picturedesk.com
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Um dem Gegner zu schaden und Propaganda zu verschicken, fälschten Geheimdienste Briefmarken. Sammler rätseln noch heute über den Hergang mancher Aktione

Propaganda ist ein wichtiges Mittel der Kriegsführung. Nicht nur, um die eigenen Bürger für den politischen Zweck zu motivieren, sondern auch, um dem Gegner zu schaden. Können heute relativ einfach Meinungen etwa durch soziale Medien manipuliert werden, musste man Anfang des 20. Jahrhunderts auf andere Wege der Kommunikation zurückgreifen.

Einer davon war der Postweg. Sache der Geheimdienste war es, Briefmarken des Gegners zu fälschen, um Propaganda im feindlichen Land zu verschicken. „Die Briten, Amerikaner und die Deutschen waren während des Zweiten Weltkriegs die Weltmeister im Briefmarkenfälschen“, erklärt Jürgen Daschner. Er ist einer der wenigen Sammler, die sich auf das Thema der Kriegs- und Propagandafälschungen spezialisiert haben. Sein Interesse geht auf einen Fund in der Kindheit zurück: Bei einer Ausstellung war er damals auf die Hitler-Totenkopf-Marke gestoßen. Jahre später fand der Münchner zum Hobby des Briefmarkensammelns zurück und forschte die Hitler-Totenkopf-Marke aus. Diese war schnell gefunden – es gibt sie in hoher Stückzahl. Daneben stieß Daschner bei der Recherche auf zahlreiche weitere Briefmarkenfälschungen aus den Weltkriegen.

Viel Literatur gibt es zu den Fälschungen nicht, denn die historischen Aufzeichnungen sind lückenhaft – waren die Fälschungen doch Teil von Geheimdienstaktionen, die nie öffentlich zugänglich waren und deren Werke meist zerstört wurden. „Es ist ein kleiner, überschaubarer Bereich an Marken, sie sind auf dem internationalen Tauschmarkt nicht leicht zu finden. Es ist schwierig, an Informationen zu kommen, und es gibt nur wenige, die sich wirklich damit auskennen. Deswegen ist man regelmäßig mit anderen Sammlern in Kontakt, um sich auszutauschen“, erzählt Daschner.

Fälschungen zur Spionage

Die meisten Sammler spezialisieren sich auf einen bestimmten Zeitraum, beliebt sind die beiden Weltkriege. Man unterscheidet zwei Arten: Kriegsfälschungen und Propagandafälschungen. Unter Kriegsfälschungen versteht man pure Fälschungen der Originalmarken, um mit diesen Marken Post zu verschicken. Hintergrund war, dass es aufgefallen wäre, hätte man eine große Menge an Briefen im feindlichen Land aufgegeben oder viele Briefmarken im Postamt gekauft. Deswegen wurden gefälschte Briefmarken über die Grenze geschmuggelt, Spione verschickten dort Briefe gefüllt mit Propaganda, unbemerkt von der örtlichen Post oder Zensurstelle.

Bei der Fälschung dieser Briefmarken wollte man also Kopien erstellen und ging sehr genau dabei vor. Bei genauerer Betrachtung gibt es kleinere Fehler, die aus Versehen oder absichtlich eingebaut wurden. „Die wohl bekannteste Fälschung ist die Kopie der Hitler-Marke durch die Amerikaner aus dem Zweiten Weltkrieg“, erzählt Daschner. Auch von dieser Marke gibt es eine relativ hohe Auflage, sie ist auf dem Sammlermarkt eine der am leichtesten erhältlichen Marken. Weitere bekannte Fälschungen durch die Alliierten sind die österreichische Heller-Marke, die Germania-Marke oder die bayrische König-Ludwig-Ausgabe. „Man konzentrierte sich natürlich auf jene Marken, die weitverbreitet waren, damit die verschickten Propagandabriefe nicht auffielen.“

Die zweite Art der Fälschung ist die Propagandafälschung. Hier wollte man keine vollständige Kopie erstellen, sondern fälschte die Briefmarke so, dass sie ein ähnliches Aussehen hatte, aber eine völlig andere Botschaft sendete. Die bekannteste ist wohl die erwähnte Hitler-Totenkopf-Marke aus dem Zweiten Weltkrieg, die gewünschte Botschaft, die bei den Empfängern ankommen sollte, ist klar. Neben Verunsicherung war Häme ein Zweck der Propagandafälschungen. Es gibt aber kaum Hinweise oder Aufzeichnungen, dass diese in großen Mengen eingesetzt worden sind. Ein weiteres Beispiel vonseiten der Alliierten war die Himmler-Marke: Man ersetzte das Bild Hitlers durch den Reichsführer der SS, um einen Zwist herbeizuführen. Geglückt ist dies aber nicht, Himmler bekam die Marke zwar in die Hände, nahm dies aber zum Anlass, die Kriegs- und Propagandafälschungen auch auf deutscher Seite zu forcieren. Die Kriegspropaganda der Deutschen richtete sich vor allem gegen die Briten. Es wurden britische Briefmarken und Pfundnoten gefälscht. Bei Tests nahmen die britischen Banken die gefälschten Banknoten sogar an. Für die Fälschungen wurden damals auch die Insassen des KZs Sachsenhausen missbraucht. Gegen Ende des Krieges wurden die Marken dort in großen Mengen erzeugt.

Stellenanzeigen für den Osten

Die Kriegsform des Briefmarkenfälschens gab es noch im Kalten Krieg, auch im Irak-Krieg. „Heute gibt es freilich ganz andere Möglichkeiten der Propaganda, man denke nur daran, was man mit sozialen Medien machen kann. Briefmarkenfälschung betreibt man heute nur, wenn man den Gegner ärgern will“, so Daschner.
Spannend sei aber, wie dieselben Methoden im Lauf der Zeit an die unterschiedlichen Situationen und Ziele angepasst wurden. Während des Kalten Kriegs führte etwa die antikommunistische Spionageorganisation Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit, kurz KgU, unterstützt von der BRD und finanziert von den USA, eine Propagandaoffensive in der DDR durch.

Dabei wurden mit gefälschten DDR-Briefmarken Materialien verschickt, um die „Moral der Bürger im Osten zu schwächen“. Man schickte etwa auch Stellenanzeigen aus dem Westen mit und wollte damit zeigen, wie gut es den Menschen hier gehen könnte. Die Methoden und der Aufwand, der in diese Fälschungen gesteckt wurde, machen das Sammlergebiet besonders faszinierend, beschreibt Daschner den Reiz der Kriegs- und Propagandafälschungen. „Da wurden ganze Telefonbücher abgeschrieben, man konnte die Adressen ja nicht einfach auf die Briefe drucken, wie das heute möglich ist.“ So gesehen war die Briefmarke ein hochpolitisches Instrument. „Aus heutiger Sicht zwar irrelevant, aber für die damalige Zeit war das ein durchaus sinnvolles Vorgehen.“

Auf einen Blick

Kriegsfälschungen. Das sind Fälschungen der Originalmarken, um mit ihnen Post zu verschicken. Sie sollten Kopien sein, möglichst exakt wie das Ausgangsmaterial. Oft gibt es bei genauerer Betrachtung trotzdem kleine Fehler, ob aus Versehen oder Absicht, ist meist nicht geklärt.

Propagandafälschungen. Diese Fälschungen sollten zwar der Originalmarke ähneln, wurden aber so bearbeitet und verfremdet, dass sie eine völlig andere Botschaft sendeten. Viele von ihnen wurden, gemeinsam mit weiterem Propagandamaterial, mithilfe der Kriegsfälschungen in das feindliche Land geschickt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2018)

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