Film: Die Selbstfindung des Freddie Mercury

Mit geradezu manischer Hingabe: als Freddie Mercury, hier mit Gwilym Lee als Gitarrist Brian May.
Mit geradezu manischer Hingabe: als Freddie Mercury, hier mit Gwilym Lee als Gitarrist Brian May.(c) Centfox
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Nach langjähriger Entwicklung und problembehafteter Produktion lockt die Musikerbiografie „Bohemian Rhapsody“ Queen-Fans in die Kinos. Rami Malek berührt als Freddie Mercury, der Rest ist Schablone – aber zum Mitsingen reicht's.

In nostalgieseligen Zeiten gibt es kein langweiligeres Kinogenre als das Superstar-Biopic. Auch andere Filmgattungen folgen Konventionen, doch sie bieten meist Spielraum für Experimente und Neudeutungen. Wenn das Kino aber Popkulturikonen huldigt, herrscht das Gesetz des kleinsten gemeinsamen Nenners. Der Erfolg von Denkmalproduktionen hängt vom Zuspruch der Fan-Mehrheit ab, und die will weder ungeschminkte Wahrheiten noch neue Perspektiven, sondern – verständlicherweise – den Endorphinschub der Wiedererkennung: Jugendhelden sollen strahlend auferstehen und ihre größten Hits zum Besten geben.

Dass „Bohemian Rhapsody“, Hollywoods Verbeugung vor den britischen Glamrock-Giganten Queen, kaum erzählerische Wagnisse eingeht, sollte also niemanden wundernehmen. Ebenso fad wie die Formelhaftigkeit dieser und ähnlicher Pop-Apotheosen ist allerdings die immer gleiche Kritik daran: Schließlich weiß man schon im Vorfeld, dass das Gebotene bekannten Mustern folgen wird; spannender scheint daher der Fokus auf Besonderheiten.

Bei „Bohemian Rhapsody“ ist das vor allem die Hauptfigur. Man kann Freddie Mercury glätten, so viel man will, man kann seine Abgründe ausblenden und seine Exzesse verbrämen, letztlich ändert das nichts an seinem Ausnahmecharakter als Rockstar und Biopic-Protagonist: Ein schwuler, in Sansibar geborener Internatsschüler aus parsischer Familie, der sich gegen jede Wahrscheinlichkeit zum Rampensau-Frontmann einer der erfolgreichsten Bands aufschwang und mit Flamboyanz und Falsettstimme ganze Stadien in Ekstase versetzte.

Zuerst geplant: Sacha Baron Cohen

Gespielt wird er von Rami Malek, einem US-Amerikaner mit ägyptischen Wurzeln, der bislang vor allem als Hauptdarsteller der Hacker-Serie „Mr. Robot“ Lorbeeren erntete. Ursprünglich hätte der britische Komiker Sacha Baron Cohen die Rolle übernehmen sollen – eine originelle, aber aus Produzentensicht allzu riskante Idee; Cohens Image als Brachialsatiriker hätte sich mit der Aura Mercurys geschnitten.

„Nicht mit diesen Zähnen!“

Malek ist ein vergleichsweise unbeschriebenes Blatt. Nach seiner Mercury-Performance sollte sich das ändern. Er steigert sich mit falschem Überbiss, wechselnden Frisuren, digital aufgeputzter Gesangsstimme und geradezu manischer Hingabe in die Figur des exzentrischen Sängers hinein, tänzelt zum Teil an der Grenze zur übertriebenen Imitation, bleibt aber bis zuletzt energetischer Ankerpunkt des Films.

In Mercurys Leben als Farrokh Bulsara gewährt dieser nur knappen Einblick. Anfangs sieht man den jungen Freddy in Heathrow Gepäck schleppen, bigotte Kollegen schimpfen ihn „Paki“, die strengen Eltern fordern rasche Zukunftsplanung. Doch er hat längst eine rebellische Ader entwickelt. Charmant präpotent dient er sich der sängerlosen Band Smile als neuer Vokalist an. „Nicht mit diesen Zähnen“, heißt es – da trällert Mercury seine Juroren aus den Socken und meint, zusätzliche Schneidezähne würden den Tonumfang steigern. Gekauft!

„Galilei“, „Figaro“, immer wieder

Von da an geht es im Eiltempo durch Sternstunden drastisch verdichteter, breit gepinselter und chronologisch nur bedingt korrekter Bandgeschichte. Man darf dabei sein, wenn Mercury bei einem frühen Auftritt sein Mikro aus den Angeln hebt, die Geburt eines späteren Markenzeichens. Auch die Entstehung der titelgebenden Wuchthymne darf nicht fehlen, Aufnahmen unzähliger „Galileos“ und „Figaros“ werden humoristisch ausgekostet. In Studioszenen erscheint Queen als verspielte Band-Familie, Gitarrist Brian May and Schlagzeuger Roger Taylor hatten beim Film Mitspracherecht und wirken entsprechend sympathisch – doch das Rampenlicht gehört dem Star.

Mercurys Selbstverwirklichung und Suche nach (sexueller) Identität liefern hier, mehr noch als seine Karriere als Musiker, den zentralen Spannungsbogen – für einen Blockbuster dieser Größenordnung gar nicht so trivial. Früh verliebt sich der Sänger in seinen Lebensmenschen Mary Austin (Lucy Boynton), doch bei einer US-Tour machen ihm holde Trucker schöne Augen. Bald beichtet er: „Ich glaube, ich bin bisexuell.“ Sie erwidert: „Du bist schwul.“ Und irgendwann ist er auch bereit, das zu akzeptieren.

Die Handhabung dieser Storyfacette erinnert an Regisseur Bryan Singer, selbst Verfechter von LGBT-Rechten und einer der Hauptverantwortlichen hinter den „X-Men“-Filmen über Außenseiter-Superhelden, deren Wahlspruch „Mutant and Proud“ lautet. Aufgrund eines Vergewaltigungsvorwurfs – oder aus privaten Gründen, je nach Stellungnahme – zog sich Singer während des Drehs aus der Öffentlichkeit zurück und wurde daraufhin von seinen Produzenten gefeuert. Die Nennung als Regisseur im Abspann konnte ihm sein Ersatz Dexter Fletcher aber nicht streitig machen.

Am Ende: Live Aid, rekonstruiert

Die Urheberschaft einzelner Szenen lässt sich nicht eruieren. So oder so berührt Mercurys Ringen um die Übersetzung seiner extravaganten Bühnenpersona in eine authentische Alltagspersönlichkeit. Dubios hingegen, wie seine Vereinsamung und Entfremdung von Bandkollegen in den 1980er-Jahren ans Ausleben seiner Sexualität, an Lederszene und Aids-Epidemie gekoppelt wird.

Keine Sorge: Am Ende stehen Kino-Queen einträchtig auf der Bühne und rocken sich durch eine minutiöse Rekonstruktion ihres legendären Live-Aid-Auftritts aus dem Jahr 1985. Der wirkt im Vergleich zum auf YouTube einsehbaren Original zwar etwas künstlich, mit computeranimierten Menschenmassen und überschwänglichen Kameraflügen – aber zum Mitsingen reicht's.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2018)

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