Graz vom Krieg bis zum Anschluss

Ein ausführlich erklärter und bebilderter Gang durch die Geschichte der Steiermark von 1918 bis 1938 im Graz-Museum in der Sackstraße 18.
Ein ausführlich erklärter und bebilderter Gang durch die Geschichte der Steiermark von 1918 bis 1938 im Graz-Museum in der Sackstraße 18.(c) Graz-Museum /F-Schurig
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Die Schau „Im Kartenhaus der Republik“ behandelt die Jahre 1918 bis 1938: Sehr viel Text und eine Fülle wenig bekannter Quellen laden zu intensivem Studium ein.

In sieben Räumen kann man derzeit im Graz-Museum durch die Geschichte der steirischen Hauptstadt wandern, vom Ende des Ersten Weltkriegs und der Bildung der Ersten Republik in Österreich bis zum Anschluss des Lands ans Deutsche Reich unter der NS-Diktatur. Doch dieser lineare Gang ist viel komplexer als gedacht. „Im Kartenhaus der Republik“ heißt die von Martina Zerovnik und Annette Rainer kuratierte Ausstellung. Ihr Titel hält, was er verspricht: Die Geschichte ist fragil und wohlgeplant. Vielschichtig nähert man sich ihrer Interpretation, mittels einer Fülle an Texttafeln (wie Kartenhäuser zusammengefügt), mit Fotos, Filmen, Gemälden, Plakaten, Dokumenten, zu Dutzenden handelnden Personen, auch ganz gewöhnlichen Bürgern.

Zudem wurde der zeitgenössische Künstler Emil Gruber damit beauftragt, den politischen Verlauf quasi kommentierend mit aktuellen Aufnahmen von historischen Schauplätzen zu begleiten – zum Beispiel vom Franzensplatz, Opernring, oder vom Rathaus, von dem die Europaflagge weht.

Promenieren zu Kaisers Zeiten

Für solche Vielfalt braucht man reichlich Zeit. Direktor Otto Hochreiter will mit seinem Projekt einen Überblick über die liberale Demokratie in dieser Stadt und ihre Gefährdungen sowie ihre Zerstörung geben. Bisher entlegene Quellen sollen offenbar anregend auf Historiker wirken, es gäbe noch manche Leerstelle. Durch den permanenten Kampf unvereinbarer Kräfte sei die Republik jedenfalls in den autoritären Wendejahren wie ein Kartenhaus zusammengefallen.

Gleich im ersten Raum wird man durch eine Diaschau hundert Jahre zurückversetzt. Die Grazer beim Baden und im Krieg, beim Promenieren zu Kaisers Zeiten, höchste Repräsentanten der Monarchie im Abendrot, erklärt durch elementare Daten. Man sieht den Bau des Rathauses vor der Jahrhundertwende, liest vom Ausbruch des Kriegs, vom Tod Kaiser Franz Josephs, von Massensterben und Vertreibung, etwa dem „Marburger Blutsonntag“, bei dem 1919 Sloweniendeutsche gegen den Anschluss an Jugoslawien demonstrierten, vom „Kirschenrummel“, als Märkte geplündert, Dutzende Menschen nach Einsatz von Polizei und Volkswehr verletzt oder getötet wurden – es geht Schlag auf Schlag. Zentral nun aber: die Verfassung.

Auf einen Blick wird einem die Ausgangssituation im zweiten Raum durch eine Fotografie vom 12. November 1918 klar. Die Massen auf dem (heutigen) Freiheitsplatz sind ausgemergelt und erschöpft, fast ausschließlich Männer. Als Kontrast 20 Jahre später derselbe Platz: jubelnde Menschen, darunter recht viele Frauen. Wie es zum Anschluss kam, wie Graz zur „Stadt der Volkserhebung“ und Hitlers Einmarsch euphorisch begrüßt wurde, bekam man zuvor ausführlich erklärt, ein historisches Seminar in Kürze: Spanische Grippe, versuchte Revolution, das Urteil von Schattendorf, Weltwirtschaftskrise, der paramilitärische Pfrimer-Putsch, schließlich die Ausschaltung des österreichischen Parlaments durch die Christlichsozialen unter Engelbert Dollfuß 1933. Der Bundeskanzler ist als kleine Plastikbüste ausgestellt. Einige in Heimwehr und Vaterländischer Front agierten bald schon für die illegalen Nazis, zum Beispiel Armin Dadieu. Die Steiermark war eine ihrer Hochburgen. In den Juliputsch 1934, als Dollfuß ermordet wurde, war auch der langjährige Landeshauptmann Anton Rintelen involviert.

Freigeister und germanische Ahnen

Nach vier Räumen, die der Politik gewidmet sind, folgen drei für Religion, Kunst und Kultur. Trefflich sind zwei Gemälde von Wilhelm Thöny – vom Erzberg und von den Arbeitslosen in den Zwanzigerjahren. Vor einem nächtlichen Bild der hell erleuchteten Annenstraße wähnt man sich in einer Großstadt. Immer wieder laden auch eine Reihe fast schon vergessener Bücher auf kleinen Pulten zur Lektüre ein. Der katholische „Kulturkampf“ wird behandelt und die evangelische Neuausrichtung, die eine „deutsche Volkskirche“ wollte, die Welt der Freigeister und des germanischen Ahnenkults, die jüdische Suche nach Identität und die der Frauen nach Emanzipation. Es ist, wie gesagt, ein Haus mit sehr vielen Karten.

Bis 4. Februar 2019 ist die Schau im Graz-Museum zu sehen, Sackstr. 18. Näheres unter www.grazmuseum.at.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2018)

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