Italiens Bausünden werden bei Unwettern zur Todesfalle

Neun Menschen kamen in den Fluten ums Leben, die dieses Ferienhaus auf Sizilien erreichten.
Neun Menschen kamen in den Fluten ums Leben, die dieses Ferienhaus auf Sizilien erreichten.imago/Independent Photo Agency
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In einem überfluteten Landhaus nahe Palermo kamen neun Familienmitglieder ums Leben. Es hätte dort nicht stehen dürfen. Ein geplanter Abriss war nie durchgeführt worden. Auch um Hänge und Bachbette kümmert sich niemand.

Es ist eine verheerende Bilanz, die Italien nach den Unwettern der letzten Woche ziehen muss. Vor allem auf Sizilien ist nach den jüngsten Regenfällen vom Wochenende nun eine Debatte über Verstöße gegen Bauvorschriften losgebrochen. Auslöser ist der tragische Tod einer ganzen Familie: Bei der Überschwemmung eines Hauses am Ufer eines Baches im Dorf Casteldaccia nahe Palermo starben neun Personen. Die Justizbehörden leiteten Ermittlungen ein, weil offenbar Bauvorschriften missachtet worden sind.

Die Familie aus Palermo hat das Wochenende in dem gemieteten Gebäude verbracht. Der Bach Milicia trat nach schweren Regenfällen am Samstagabend über die Ufer und flutete das Haus mit Wasser und Schlamm. Unter den Toten waren Kinder im Alter von einem, drei und 15 Jahren, die anderen Opfer nach Angaben der Feuerwehr 32 bis 65 Jahre alt. Drei weitere Familienangehörige konnten sich Medienberichten zufolge in Sicherheit bringen, einer von ihnen rettete sich auf einen Baum.

Abbruch geplant, nie durchgeführt

Der Bürgermeister von Casteldaccia, Giovanni Di Giacinto, berichtete, dass die Gemeinde 2008 einen Befehl erlassen hatte, das Landhaus abzureißen, da es ohne Genehmigungen zu nahe an dem Bach gebaut worden war. Dieser sei jedoch nie ausgeführt worden. Weitere Häuser seien in den vergangenen Jahren ohne Erlaubnis dem Bach entlang errichtet worden.

Das Bachbett hätte außerdem längst gereinigt gehört. Außerdem befindet sich in dem Gebiet eine große Anzahl illegal errichteter Gebäude, klagte Giuseppe Virga, Bürgermeister der in der Nähe des Unglücksorts gelegenen Ortschaft Altavilla Milicia. Im ganzen Raum um Palermo seien schwere Bausünden begangen worden, sagte der Bürgermeister.

Umweltschutzverbände kritisierten den "verantwortungslosen Städtebau und die Missachtung der Baunormen". In Italien werde überall und ohne Rücksicht auf europäische Standards gebaut. Nach Angaben des Zivilschutzes sind 70 Prozent der italienischen Gemeinden wegen nicht genehmigter Bauten und abgeholzter Wälder von Überschwemmungen bedroht.

Neun Milliarden Euro Schaden in den letzten fünf Jahren

Die Bausünden in Italien rächen sich bitter. Erdrutsche und Überflutungen fordern immer mehr Tote. Durch Naturkatastrophen sind im Land allein in den vergangenen fünf Jahren Schäden in Höhe von neun Milliarden Euro entstanden. Unermüdlich warnen italienische Geologen vor den Gefahren. Doch ihr Ruf verhallt unbeachtet.

Nicht nur Bausünden und Klimawandel werden für die zunehmende Zahl verheerender Erdrutsche und Überschwemmungen verantwortlich gemacht. Auch Abwanderung spielt eine Rolle. In den vergangenen Jahrzehnten seien ganze Gebirgsregionen verlassen worden, niemand kontrolliere mehr die Hänge, warnten Geologen. Es fehle an einer Raumplanung. Instandhaltung und Kontrolle von Mauern, Dämmen und Kanälen, die jährlich oder sogar saisonal erfolgen sollten, würden total vernachlässigt werden.

Laut Experten wären für die Sicherung der Hänge in Italien rund 40 Milliarden Euro notwendig, eine riesige Summe, die der Staat nicht locker machen könne. Je mehr in Vorbeugung investiert werde, desto weniger werde man für die Schäden durch Erdrutsche ausgeben müssen. "Wenn man die Finanzierungen für Bodenschutz kürzt, ist das so, als würde man im Land die Gesundheitsausgaben reduzieren. In beiden Fällen steht das menschliche Leben auf dem Spiel", sagte ein Sprecher der italienischen Geologen.

Neue Priorität der Regierung

Inzwischen will die Regierung in Rom die von den Unwettern betroffenen Gebiete unterstützen. Bei einer für diese Woche geplanten Ministerratssitzung sollen 250 Millionen Euro für diese Regionen locker gemacht werden. Eine weitere Milliarde soll im Rahmen des Budgetplans 2019 für räumliche Sicherheitsmaßnahmen zur Verfügung gestellt werden - eine Priorität, wie Premier Giuseppe Conte sagte, der am Sonntag die von den Unwettern betroffenen Gebiete auf Sizilien besucht hatte.

Italien war in den vergangenen Jahren mehrmals von schweren Erdrutschen heimgesucht worden. Das schlimmste Unglück ereignete sich im Mai 1998. Damals sind 137 Personen in der süditalienischen Ortschaft Sarno südlich von Neapel ums Leben gekommen, als nach sintflutartigen Regenfällen eine Schlammlawine Dutzende Gebäude unter sich begraben hatte.

(APA)

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