Die Börse ist kein Lottospiel – sie ist Ausdruck von Mündigkeit

(c) Bloomberg (Akos Stiller)
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Der geplante Börsengang einer Wiener Firma kommt einem Glücksfall gleich. Er erinnert daran, dass es uns Österreichern an Eigenverantwortung mangelt.

So oft kommt ein Börsengang in Wien ja nicht vor. Insofern kann man es nicht genug würdigen, wenn ein Unternehmen wieder allen Ernstes überlegt, sich Geld für seine weitere Entwicklung vom österreichischen Kapitalmarkt zu holen. Zuletzt hat das die Bawag-Bank Ende 2017 getan.

Dass mit dem Wiener Biotechunternehmen Marinomed nun eine ziemlich kleine Firma diesen Schritt vorhat, macht ihn nur noch respektabler. Jedenfalls aber signalträchtig. Marinomed, so wurde gestern bekannt, überlegt, Aktien zu platzieren, und zwar im Topsegment des Handelsplatzes, dem sogenannten Prime Market, aus dem der Aktienleitindex ATX berechnet wird.

Warum so viel Aufhebens wegen dieses Unterfangens, das in anderen Ländern wie etwa der Schweiz eine fast alltägliche Selbstverständlichkeit ist? Nun, weil wir es hierzulande mit dem eigenverantwortlichen Vermögensaufbau und dem Kapitalmarkt nicht so haben. Als etwas anrüchig gilt er gemeinhin, als Sammelplatz für Zocker und Spekulanten – auch und zuvorderst in der Diktion der Politik über Jahrzehnte hinweg. Das ist auch wenig verwunderlich, war doch die Basis ihres Konzepts eine ganz andere Auffassung von Staatsbürgertum: Wir oben befinden, was und in welchem Ausmaß gut für dich da unten ist. Wir garantieren dir Rundumversorgung und Vollkaskoschutz im Leben und erkaufen ihn gern auch mit hohen Staatsschulden. Und wenn wir diese nur schwer bedienen können, dann ist die Hochfinanz schuld, die uns angeblich in die Knie zwingen will, nur weil sie irgendwann ihr Geld zurückhaben möchte.

Damit nicht genug: Wer mehr vom Leben will und etwa Lohnfortschritte erzielt, wird mit der kalten Progression gestutzt, damit wir alle schön gleich bleiben. Gut, Lotto spielen, bei dem das eingesetzte Geld weitaus eher verloren geht als selbst bei einer hochriskanten Aktie, ist anerkannt, weil der Mensch doch ein bisschen zeitvertreibendes Spiel mit dem finanziellen Glück braucht – und die Gefahr, dass zu viele es erreichen, hier ohnehin gering ist.

Die aus diesem Mix von aktiver Bevormundung und aufklärungsferner Gefügigkeit resultierende Mentalität ist folgenschwer: So hat der Volksmund für einen, der als Unternehmer eigene Wege gehen will, nicht Glückwünsche parat, sondern Phrasen wie: „Der wird sich noch anschauen!“ oder „Wozu tut er sich das an?“ Und wenn das Unterfangen aufgeht, „kann es nicht so schwer gewesen sein“. Jedenfalls ist es nicht Ansporn zur Nachahmung, sondern Finanzquelle, an der sich dann der Staat schnell bedient.

Was das alles mit dem beabsichtigten Börsengang von Marinomed und mit der Börse generell zu tun hat? Ziemlich viel, denn diese beruht auf einem anderen Konzept, und zwar auf dem von Mündigkeit, Bereitschaft zum Risiko und Eigenverantwortung. Und dem, dass der Wunsch nach Vermögensaufbau kein Verbrechen und zudem allen zugänglich ist.
Viele sind es hierzulande nicht, die das nützen. Die Aktienquote liegt bei fünf Prozent, wie eine repräsentative Umfrage des Market-Instituts im Auftrag der Wiener Börse Ende Oktober ergeben hat. Neben der Angst vor einem zu hohen Risiko wird fehlende Finanzbildung von der Mehrheit der Befragten als Hemmnis erachtet.

Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn der schulisch verantwortete Wissensmangel schafft Distanz zum Kapitalmarkt, die wieder den Wissensmangel prolongiert. Kaum bekannt ist dadurch, dass die Emissionserlöse eine wichtige Geldquelle zur Forschung und Produktentwicklung sind, zumal Firmen weit schwerer zu Bankkrediten kommen als früher. Kaum bekannt ist auch, dass Handeln an der Börse das Verstehen von Wirtschaftsdynamiken fördert. Börse ist nichts Sakrosanktes und wie alles im Leben mit Vorsicht zu genießen. Aber sie ist eine der Ausdrucksformen eines freien und mündigen Bürgertums. Gut, wenn die neue Regierung den Kapitalmarkt mit Anreizen stärken will. Warten darauf soll man nicht. So wie das auch die Firma Marinomed nicht tut. Und worin ihr hoffentlich viele folgen. Denn Österreich kann gar nicht genug Börsengänge haben.

E-Mails an: eduard.steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2018)

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