High Jewellery: Handwerk und Hightech

(c) Lysandre Le Cléac‘h/Bernard Lagacé
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Die Haute Joaillerie verschließt sich nicht neuen Technologien: Computerunterstützte Verfahren sollen bei Cartier die Handwerkskunst voranbringen. Anderswo sind Materialinnovationen ein Thema.

Die großen Schritte, die auf den ersten Blick klein anmuten mögen: Das kennt man – ja, gleich die ganze Menschheit! – spätestens seit der ersten Mondlandung, Vergleichbares trägt sich unablässig aber auch in anderen Zusammenhängen zu. Dass etwa in offiziellen Unterlagen zu der 2018 präsentierten, aus lauter Unikaten bestehenden und am Gipfelpunkt der Juwelierskunst angesiedelten ­Haute-Joaillerie-Kollektion von Cartier bei der Beschreibung des hauchzart gearbeiteten Sets „Matsuri" ausdrücklich der Aspekt eines computerunterstützten (CAD) Designprozesses hervorgehoben wird, kommt in der Geschichte des seit 170  Jahren bestehenden Luxusunternehmens wohl einer kleinen Revolution gleich.

„Wir arbeiten seit Jahren an der Weiterentwicklung der CAD-Technologie", sagt Jacqueline Karachi-Langane, Leiterin der Cartier-Prestige-Kreativabteilung. „Wir haben aber damit gewartet, dies nach außen zu kommunizieren, bis das Verfahren unseren hohen Ansprüchen genügt." Besonders in der Haute Joaillerie sei es, so Karachi-Langane, von großem Vorteil, mit ultrapräzisen Harzmodellen aus dem 3-D-Drucker arbeiten zu können: „So können wir schon früh die Tragbarkeit von Schmuckstücken am Körper austesten. In der Haute Joaillerie ist jede Kreation ein Einzelstück, das heißt, wir haben hier keine Möglichkeit, mit erprobten Prototypen zu arbeiten."

Dass trotz aller Fortschritte in den letzten Jahren durch die konstante Weiterentwicklung bestehender Prozesse und der Koordination verschiedener Produktionsschritte bei Cartier nicht alle Haute-Joaillerie-Entwürfe mit computerunterstütztem Design entstehen, hat einen einfachen Grund: „Dieser Prozess ist sehr genau, aber auch sehr langwierig. Dank unserer langen Tradition und des großen Fachwissens unserer Goldschmiede können wir vieles schneller von Hand fertigen", unterstreicht Karachi-Langane. Ohnehin habe man sich den CAD-Spezialisten nicht als jemanden vorzustellen, „der isoliert in seinem Eck sitzt", da Mitarbeiter aller Abteilungen in engem Kontakt miteinander stehen würden und die CAD-Profis oft gelernte Goldschmiede seien, die sich weiterbilden ließen.

„Ich kann nicht oft genug betonen, dass alle Aspekte komplementär zueinander sind. Wir setzen die neue Technologie dann ein, wenn wir etwas schaffen können, das sonst unter Umständen nicht möglich wäre", betont die Cartier-Mitarbeiterin. Konkret über das mit vielen filigranen Übergängen ausgestattete „Matsuri"-Set ergänzt sie, dass es in exakt dieser Form ohne computerunterstützte Verfahren in der Vergangenheit wohl nicht umsetzbar gewesen wäre. Dennoch geschehe auch hier der letzte Feinschliff von Hand, was für einen „complément d’âme", einen Hauch menschlicher Beseeltheit, sorge.

Verjüngungskur. Auch ist sich Jacqueline Karachi-Langane sicher, dass die Klientel von Cartier keine Scheu vor dem Zusammenführen von Haute Joaillerie und Hightech habe. „Wir gehen mit der Zeit, und das tun auch unsere Kunden, die sich das von uns sogar erwarten." Dass es keinerlei Berührungsängste von Kunden des Luxussegments mit innovativen Verfahren gibt, die traditionelle Handwerkstechniken ergänzen, bestätigt auch die Wiener Schmuckdesignerin Marie Boltenstern. Sie konnte mit dem von ihrem Vater Sven übernommenen und völlig neu aufgestellten Familienunternehmen dank ausgeklügelter 3-D-Drucktechniken für Edelmetallkreationen reüssieren. Bolten­sterns neueste Kollektion namens „Signature" beruht auf mit eigener Software abstrahierten Schriftzügen oder Skizzen von Kunden, die somit völlig unkompliziert Unikate kreieren können. Über die Affinität zum Hightech-Thema sagt Boltenstern: „Besonders auffällig ist, wie sehr sich Männer dafür interessieren. Mit solchen Aspekten können sie etwas anfangen, und mir bereitet es Vergnügen, ihnen die Verfahren persönlich zu erklären." Wer das persönliche Gespräch mit Marie Boltenstern suchen möchte, hat noch bis Weihnachten in ihrem Pop-up-Shop in der Bräunerstraße 11 mitunter Gelegenheit, die Designerin selbst anzutreffen.

Von edlem Wuchs. Jenseits von solchen auf Hochtechnologie basierenden Verfahren ist der Aspekt der Materialrecherche für innovative Ansätze entscheidend. Aufmerksamkeit erregte zuletzt etwa der in Hongkong ansässige Schmuckdesigner Wallace Chan mit einem extrem widerstandsfähigen Porzellan, das er wie Edelmetall verarbeitet und in einem sieben Jahre langen Trial-and-Error-Prozess erarbeitet hat. Ende November möchte er seine Porzellankollektion in New York der Öffentlichkeit vorstellen.

Ein weiteres, in den letzten Jahren immer wichtiger werdendes Thema im High-Jewellery-Umfeld sind im Labor gezüchtete (oder eben „wachsende"), sogenannte synthetische Diamanten. In der Industrie sind diese schon seit Jahrzehnten im Einsatz, dank einer ständigen Verbesserung der Verfahren konnte aber ein Reinheitsgrad erzielt werden, der ihren Einsatz auch im Schmuckbereich ermöglicht. Der Kostenpunkt dieser Diamanten, die sich nur in Labortests von natürlichen Steinen unterscheiden lassen, liegt bei etwa einem Drittel unter Exemplaren aus Minen.

Auf die Offenheit bestimmter Kundenkreise setzt das an der Pariser Place Vendôme (der weltweit wohl besten Adresse für Luxusjuweliere) ansässige, 2018 neu eröffnete Maison Courbet: Man bietet ausschließlich Schmuckstücke mit Labordiamanten an, das verarbeitete Gold stammt zudem aus recycelten Hightech-Komponenten. „Viele unserer Kunden sind sehr jung, Digital Natives und Millennials, die sehr bewusst konsumieren. Sie bringen viel Vorwissen mit und möchten, besonders wenn es um Verlobungsringe geht, den Aspekt der ,Meaningfulness‘ mitbedenken", sagt Charlotte Daehn, Sprecherin der Marke. Bei einer für die Haute-Couture-Woche im kommenden Jänner erstellten Kollektion sollen erstmals in Frankreich erzeugte Labordiamanten verarbeitet werden.

Eine Neubewertung solcher Edelsteine erhielt unlängst in den USA Rückenwind: Die Federal Trade Commission stellte nämlich fest, dass man analog zu Perlen künftig von Kulturdiamanten, nicht mehr von „synthetischen" Steinen, zu sprechen habe: „Wir bemühen uns auch in der EU um eine ähnliche Bezeichnung", sagt Daehn. Dass Bewegung in diesen Bereich gekommen ist, zeigt auch die Tatsache, dass das auf Diamantenabbau und -handel spezialisierte Unternehmen De Beers 2018 eine Tochtermarke namens Lightbox lancierte, die nur Edelsteine aus dem Labor verarbeitet.

Sensor am Ohr. Äußerst experimentelle Ansätze lotet indessen noch bis 22.  November in Wien (bei Alja & Friends, Kärntner Durchgang 5) die Ausstellung „Tragbare Technologie" aus. Wearable-Technology-Expertin Sophie Skach, Doktorandin an der Queen Mary University in London, versammelte hierfür Positionen an der Schnittstelle von technologischer Innovation und anspruchsvollem Schmuckdesign. „Gerade im Bereich der Schmuckkunst sehe ich Bereitschaft, mit neuen Verfahren zu experimentieren und sogar Elemente wie umgebungssensible Sensoren in Entwürfe zu integrieren. Hier ist man ohnehin für den Einsatz neuer, auch ,unedler‘ Materialien offen", ist Skach sich sicher. Unter den gezeigten Exponaten sind die vibrierenden oder Duft ausströmenden Objekte des Londoner Labels Wisp wohl herkömmlichem Schmuck am nächsten. Wann bewegungsmeldende Elemente aber erstmals in eine an der Place Vendôme gezeigte Haute-Joaillerie-Kollektion integriert werden, ist fürs Erste noch nicht abzusehen. 

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