In der Union regt sich Widerstand. Doch die Führung der Konservativen verteidigt die unverbindliche Migrationsvereinbarung der Vereinten Nationen.
Wien/Zagreb. Die Debatte über den Migrationspakt hat nun auch Deutschland mit Wucht erreicht. Erstmals regte sich im Regierungslager eine ablehnende Stimme. Vor einer Fraktionssitzung der Union kündigte der CDU-Abgeordnete Marian Wendt gegenüber der „Welt“ an, sich „gemeinsam mit einigen Kollegen gegen die Unterzeichnung der aktuellen Fassung des Globalen Migrationspakts“ auszusprechen. Auch wenn es rechtlich nicht bindend sei, werfe das UN-Dokument zu viele Fragen auf, so „die fehlende Unterscheidung von Flucht- und Arbeitsmigration“. Der Vorsitzende des Petitionsausschusses des Bundestages nahm damit ein zentrales Argument der österreichischen Bundesregierung auf, die vergangene Woche angekündigt hatte, aus dem Migrationspakt auszusteigen.
Grundsätzlich wird in dem 34-seitigen Papier freilich sehr wohl zwischen Flüchtlingen und Migranten unterschieden. Die UNO arbeitet seit 2016 sogar in einem getrennten Prozess an einem eigenen Flüchtlingspakt. Für Irritation sorgt indes Paragraf 20f des Migrationspakts, in dem die Unterzeichner aufgefordert werden, auch Migranten, die ihre Staatsangehörigkeit oder rechtliche Identität nicht nachweisen können, weder den Zugang zu Grundleistungen noch zu Menschenrechten zu verwehren.
„Mythen entzaubern“
Als brisanter noch sehen Kritiker die Selbstverpflichtung in Paragraf 23i, Migranten mit irregulärem Status auf Einzelfallbasis den Zugang zu einer individuellen Prüfung zu erleichtern, die zu einem regulären Status führen kann, insbesondere bei Kindern, Familien und Jugendlichen. Das lehnt die österreichische Bundesregierung ab. Von einem „Menschenrecht auf Migration“, wie dies im Ministerratsvortrag konstatiert wird, ist jedoch an keiner Stelle des UN-Pakts die Rede.
Wie stark der Widerstand gegen das UN-Dokument in der deutschen Union tatsächlich ist, lässt sich schwer abschätzen. Der neue Fraktionsführer, Ralph Brinkhaus, setzte das Thema jedenfalls zwei Tage vor der Bundestagsdebatte auf die Tagesordnung der CDU/CSU-Sitzung. Es gehe auch darum, Mythen zu entzaubern, sagt er. Die CDU hatte bereits am 2. November Fragen und Antworten auf ihrer Homepage veröffentlicht, um Falschmeldungen über den Migrationspakt entgegenzutreten. Der Bedarf ist gegeben: Am Dienstag etwa behauptete der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann, der Migrationspakt sei ein Instrument, um einen „großen, interkontinentalen Bevölkerungsaustausch“ in Gang zu setzen. Das trifft nicht zu. Das rechtlich unverbindliche Papier enthält keinerlei Aufnahmezusagen. Es ist darin explizit bekräftigt, dass die Nationalstaaten weiterhin souverän über ihre Migrationspolitik entscheiden. Außerdem sagen darin auch Herkunftsländer zu, abgeschobene Migranten zurückzunehmen.
CDU-Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble erklärte am Dienstag im Interview mit Ö1 jedenfalls, dass Deutschland dem UN-Migrationspakt zustimmen werde. Die österreichische Entscheidung wollte er nicht kommentieren. Auch der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Alexander Dobrindt, verteidigte den Migrationspakt. Die im Juli von mehr als 190 UN-Mitgliedern beschlossene Vereinbarung sehe keine „verschärfenden Wirkungen für die deutsche Gesetzgebung“ vor, und auch „keine Rechtsverbindlichkeit“.
Skurriler Streit in Kroatien
Bisher sind außer Österreich auch die USA und Ungarn aus der Vereinbarung ausgestiegen. Polen, Australien und vermutlich auch Tschechien dürften folgen. In Kroatien ist eine öffentliche Debatte mit skurrilen Zügen entbrannt. Vor einigen Tagen stellte Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović klar, dass sie dem Pakt auf der für 10. Dezember angesetzten Migrationskonferenz in Marrakesch nicht zustimmen werde. Noch im August hatte sie UN-Generalsekretär António Guterres nach Recherchen der Tageszeitung „Jutarnij List“in einem Brief erfreut mitgeteilt, dass sie der Annahme „dieses wichtigen Dokuments“ in Marrakesch beiwohnen werde. Kroatiens Außenministerin Marija Pejčinović Burić sagte am Dienstag, der Migrationspakt sei für ihre Regierung in keinem Punkt umstritten. Sie habe bisher nicht erfahren, was die Präsidentin daran genau kritisiere. Auch Sloweniens Premier Marjan Šarec versuchte, die Wogen zu glätten. „Die Erklärung von Marrakesch ist für uns kein verbindliches Dokument und sollte auch so behandelt werden“, sagte er. „Jene Staaten, die ihren Rückzug erklärt haben, taten dies vor allem aus innenpolitischen Gründen.“
Ungarns Außenminister in Wien
Am Mittwoch wird in Wien Ungarns Außenminister Péter Szijjártó erwartet. Er wird Vizekanzler Heinz-Christian Strache, Außenministerin Karin Kneissl und Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl treffen. Eine gemeinsame Pressekonferenz ist mit Strache angesetzt: Dabei wird vermutlich der Migrationspakt ein Thema sein. (ag./cu)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2018)