Am Tod vorbeigelaufen

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Bei meiner Suche nach neuen Laufstrecken in und um Wien freue ich mich prinzipiell immer über Tipps.

Bei meiner Suche nach neuen Laufstrecken in und um Wien freue ich mich prinzipiell immer über Tipps. Doch den Vorschlag, den mir eine Kollegin erst kürzlich machte, habe ich dann doch etwas seltsam empfunden. Ich sollte, sagte sie, meine nächste Laufrunde auf dem Zentralfriedhof drehen. Durch die Grabreihen zu joggen schien mir aber unheimlich pietätlos zu sein. Das könne, dachte ich, gar nicht erlaubt sein.

Da wurde ich bei einem Gespräch mit den Verantwortlichen der Friedhöfe Wien eines Besseren belehrt. Man machte mir das Laufen auf dem Zentralfriedhof sogar schmackhaft. Es gebe in der Stadt kaum größere Grünanlagen. Hier würden einem keine Hunde und nur wenige Autos begegnen. Auf Europas zweitgrößten Friedhof könne man sogar lange Dauerläufe absolvieren. Ein Wegenetz von 80 Kilometern stehe zur Verfügung. Begräbnissen könne man auf dem 2,5 Quadratkilometer großen Areal ausweichen. Trauernde würde man nicht stören. Und generell solle der Zentralfriedhof immer mehr zu einem „Lebens- und Erholungsraum“ werden. Den Tod wolle man enttabuisieren.

Ich habe versucht, mich an die 330.000 Gräber zu gewöhnen. Ausgehend von Tor 1 (es ist mit der Straßenbahnlinie 71 zu erreichen) habe ich mich zuerst entlang der Friedhofsmauer fortbewegt. Schnell lief ich nicht. Es gab viel zu sehen. Schon auf den ersten Metern bin ich etwa am Grab von Arthur Schnitzler vorbei gekommen. Meine Gedanken schweiften durch die Geschichte und ich begann zu rätseln, welches Leben die nun Toten einst wohl geführt hatten. Nur der Flugzeuglärm hat mich aus den Überlegungen gerissen. Bereits nach wenigen Minuten begegnete ich dem ersten Laufkollegen. Fortan fühlte sich das Training auf dem Zentralfriedhof etwas weniger seltsam an. Bis ich plötzlich am Babyfriedhof, an dem sich kleine, bunte Windräder drehten und Teddybären an den Kreuzen lehnten, vorbeikam.

Und so schaffe ich es nicht, den Zentralfriedhof als Laufstrecke zu empfehlen. Die Friedhofsverwaltung, das weiß ich, hätte nichts dagegen. Sie überlegt sogar, eine Joggingroute auf dem Zentralfriedhof auszuschildern.

E-Mails an: julia.neuhauser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2018)

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