„Angelo“: Die Passion des „Hofmohren“

Makita Samba spielt Angelo vier – und verleiht der symbolischen Figur als einziger etwas Charakter.
Makita Samba spielt Angelo vier – und verleiht der symbolischen Figur als einziger etwas Charakter. (c) Novotny Film
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Markus Schleinzers zweiter Spielfilm erzählt die Geschichte von Angelo Soliman als böse Parabel über die Hartnäckigkeit von Rassismus. Präzise, aber allzu allegorisch.

Glaubt er jetzt vielleicht schon, er ist ich?“ Der Fürst ist über seinen „Hofmohren“ entrüstet – denn dieser hat es gewagt, sich „zu einem Weibchen zu legen“. Sein Tadel bezieht sich freilich nicht auf einen Standesunterschied, sondern auf die Differenz zwischen Menschsein und etwas anderem. Das Verbrechen des Abgekanzelten besteht darin, die gottgegebene Ordnung der Dinge verletzt zu haben.

Diese Standpauke füllt eine Schlüsselszene in Markus Schleinzers neuem Film „Angelo“ (dessen Name, gewollt oder nicht, an sein Debüt „Michael“ anschließt – jetzt schon ein Treppenwitz unter Cinephilen). Darin tritt klar hervor, was bis dahin nur unterschwellig mitschwang: Die dunkelhäutige Hauptfigur des Films ist nicht und wird nie Teil der Gesellschaft sein, in die sie mit vermeintlich barmherzigem Gestus eingegliedert wurde.

Es handelt sich um Angelo Soliman, eine historische Persönlichkeit. Als Bub von Sklavenhändlern aus Afrika entführt, gelangte er über Umwege ins Umfeld des habsburgischen Adels und konnte sich dort mit der Zeit ein gewisses Maß an Unabhängigkeit erarbeiten. Schleinzers Film orientiert sich lose an der überlieferten Biografie Solimans, doch um Detailtreue geht es ihm nicht. Sein Zugang ist eher allegorisch, wie sich schon an einer Anfangsszene zeigt, in der frisch importierte Kindersklaven für den Verkauf präpariert werden: Die Händler sind zeitgemäß gewandet, doch als Schauplatz dient eine von Neonröhren erleuchtete Lagerhalle.

Der Erste stirbt an „Melancholie“

Anderswo hält sich „Angelo“ an die Dekor-Illusion des 18. Jahrhunderts, aber seine Beschwörung der Epoche bleibt bewusst rudimentär – und der Titelheld steht für alle „Söhne Afrikas“, die sich Europa je als exotische Talismane ins Regal gestellt hat. Erzählt wird seine Lebensgeschichte mit teilweise großen Ellipsen und von unterschiedlichen Darstellern; im Abspann figurieren, auch das ein Metakommentar, Angelo eins bis fünf. Ein böser Witz gleich zu Beginn: Der erste Angelo stirbt an „Melancholie“ – und wird prompt ersetzt.

Nummer zwei darf unter der Schirmherrschaft einer wohlmeinenden Komtesse (gespielt von der Italienerin Alba Rohrwacher) zu einem Exempel der Wunder gediegener Erziehung heranwachsen. Als Kind rebelliert er noch, doch schon bald lauschen Perückenträger seinem brav antrainierten Flötenspiel – und der oben erwähnte Fürst nimmt ihn zwecks „neuem Glanz“ in sein Gefolge auf. Später pflegt Angelo sogar Umgang mit dem Kaiser (dass Josef II. gemeint ist, weist Schleinzer nicht aus), der sich bei ihm über die Einsamkeit an der Staatsspitze ausjammert – aber nicht imstande ist, die viel radikalere Entfremdung seines Gegenübers wahrzunehmen. Genuine Zuneigung von seinen Mitmenschen erfährt Angelo eigentlich nur in entrücken Traumsequenzen vor schwarzem Hintergrund und voller unheimlicher Flüsterstimmen.

Im Mittelteil des Films wird er vom Franzosen Makita Samba verkörpert, der seiner Symbolfigur als einziger etwas Charakter über das Symbolische hinaus verleiht – vor allem in einer Ausnahmeszene, die den Protagonisten im Bett mit der Geliebten zeigt. Ein Furz, herzhaftes Lachen, helles Licht: Ein kurzer Leichtigkeitsmoment im Zuge eines beengenden, innerlichen Leidenswegs. Doch selbst hier gibt der unfreie Selbstständige, nach seiner Herkunft gefragt, eine einstudierte Performance über die Elefantenreiter und flammenden Berge des „dunklen Kontinents“.

Irgendwann klopft dann die Aufklärung an, in Form eines von Christian Friedel gespielten Kurators, der Angelo und seine Tochter („der ganze Papa!“) durch die k. u. k. Naturalienkabinette führt – und durchscheinen lässt, dass er sie am liebsten selbst als Exponate ausstellen würde. Rassismus ist hier weniger individuelle Geisteshaltung als ein logischer Nebeneffekt streng hierarchischer oder rationalistischer Weltbilder.

Friedels Anwesenheit erinnert im Übrigen an einen anderen Historienfilm aus Österreich: Jessica Hausners „Amour Fou“. Dort spielte er eine gallige Karikatur Heinrich von Kleists. Mit „Amour Fou“ (und mit Barbara Alberts „Licht“ über Franz Mesmer und die blinde Pianistin Maria Theresia Paradis) bildet „Angelo“ eine Reihe heimischer Kinoarbeiten, die Gegenwartsproblematiken in zugespitzte Geschichtskostüme kleiden, um sie deutlicher hervorzuheben.

Ein Archetyp, kein Mensch

In Schleinzers präzise inszeniertem Film überzeugt dieser Ansatz über weite Strecken. Aber seine Abstraktion wirkt selbst wie eine formale Vitrine, hinter der Soliman zu einem bloßen Lehrbeispiel verkommt. Dabei hätte man ihm, angesichts seines in Wahrheit noch viel bewegteren Lebens, auch mehr Augenblicke des Aufbäumens gegen die Zügel des didaktischen Narrativs gewähren können, das manchmal ein bisschen an die Gemäldeserien des britischen Satirikers William Hogarth erinnert. Dann würde er womöglich nicht bloß als Angelo-Archetyp mit Startnummer erscheinen, sondern als widerspenstiger Mensch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2018)

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