Historiker: Zerfall der Donaumonarchie war "katastrophaler Fehler"

Symbolbild: Gemälde zeigt Kanonen in Paris, nach den Kapitulationen 1918
Symbolbild: Gemälde zeigt Kanonen in Paris, nach den Kapitulationen 1918(c) imago/United Archives International (imago stock&people)
  • Drucken

Der Zerfall der Donaumonarchie habe wesentlich zum Aufstieg von Nationalismus und Diktaturen beigetragen, sagt der Brite Steven Beller - und warnt davor, die Existenz der Europäischen Union nicht leichtfertig auf das Spiel zu setzen.

Der britische Historiker Steven Beller hat den Zerfall der Donaumonarchie nach dem Ersten Weltkrieg als "katastrophalen Fehler" bezeichnet, der wesentlich zum Aufstieg von Nationalismus und Diktaturen beigetragen habe. Daher solle man heute die Existenz der Europäischen Union nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, sagte Beller am Dienstag bei einer wissenschaftlichen Konferenz in Wien. "Man sollte komplexe Strukturen nicht einfach auflösen, nur weil sie einige Fehler haben, wie etwa die EU, und nicht so entscheidungsstark und kohärent wie einfachere Modelle sind. Man weiß nicht, was man hatte, bis man es verloren hat", mahnte der Londoner Experte bei der Konferenz "Why history matters?" zum 100. Jahrestag des Weltkriegsendes an der Diplomatischen Akademie.

Entscheidend für die weitere Entwicklung Europas sei nicht das Kriegsende am 11. November 1918 gewesen, sondern die Kapitulation Österreich-Ungarns am 3. November und die Ausrufung der Republik Österreich am 12. November, sagte Beller. Damit sei nämlich die Donaumonarchie als ausgleichender Faktor in der europäischen Politik verschwunden. Das dadurch hinterlassene "Vakuum" hätten Nazi-Deutschland und die Sowjetunion gefüllt.

"Völliges Desaster für die Region"

Während das Ende der Monarchie und die Entstehung von (zunächst) demokratischen Nationalstaaten früher begrüßt worden sei, hätten die meisten Historiker mittlerweile eine ganz andere Sicht auf die damaligen Ereignisse, nämlich "dass das Ende der Monarchie ein völliges Desaster für die Region war", zog Beller eine direkte Linie zum Aufstieg von Faschismus und Nationalsozialismus in der Zwischenkriegszeit.

"Nostalgie ist mir eigentlich immer sehr verdächtig", betonte der in den USA lebende Historiker, der mehrere Bücher über die Donaumonarchie geschrieben hat. Diese sei "weit davon entfernt gewesen, perfekt" zu sein und insbesondere keine Demokratie, räumte er ein. Sie sei aber ein Rechtsstaat mit einer unabhängigen Justiz und einer effizienten Bürokratie gewesen, habe - zumindest im österreichischen Teil - auf Interessensausgleich gesetzt und wirtschaftlich eine gute Bilanz aufgewiesen.

"Die Monarchie war eine Freihandelszone, ein Binnenmarkt, wenn man so will", sagte Beller in Anspielung auf die EU. Dies habe dazu geführt, dass die Donaumonarchie vor dem Krieg im Vergleich zu Westeuropa deutlich aufgeholt habe. Nach dem Krieg habe sich dies umgekehrt. Der Zerfall des gemeinsamen Wirtschaftsraumes habe zu einer Wirtschaftskrise geführt und "eine rasante Entwicklung" hin zu politischen Konflikten, Nationalismus und Faschismus ausgelöst.

Der Zerfall der Monarchie habe sich somit als "schrecklich" für die Sicherheit der neuen kleinen Nationalstaaten erwiesen, weil sie nicht groß genug gewesen seien, sich gegenüber Deutschland und später die Sowjetunion zu verteidigen, sagte Beller mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg und die Blockteilung danach.

Brix: "Europa ist ein kaltes Projekt"

Experten aus den USA, Großbritannien, den Niederlanden, Finnland, Kroatien und Österreich diskutierten bei der vom Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) mitveranstalteten Konferenz über die Lehren, die das Schicksal der Donaumonarchie für die heutige Weltordnung bereit hält. Der Direktor der Diplomatischen Akademie, Emil Brix, plädierte in seinen Begrüßungsworten dafür, im europäischen Integrationsprojekt die "emotionalen Verbindungen" zu stärken. Das Beispiel der Donaumonarchie zeige nämlich, "dass Rechtsstaat und eine aufrichtige Bürokratie keine Garantie" für den Bestand einer politischen Einheit seien. "Europa ist ein kaltes Projekt, und mit einem kalten Projekt kann man nicht erfolgreich sein", sagte der ehemalige Botschafter in London und Moskau mit Blick auf die Europäische Union.

Am Nachmittag war unter anderem ein Vortrag des britischen Professors Jan Zielonka angesetzt, der ebenfalls über die Lehren der Habsburg-Monarchie für die EU sprechen wollte. Abschließend war eine Podiumsdiskussion geplant, unter anderem mit Ex-Vizekanzler Erhard Busek (ÖVP), der Linguistin Ruth Wodak und dem langjährigen früheren EU-Botschafter Gregor Woschnagg.

(APA)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.