Platter: „Ich bin ein großer Befürworter einer Steuerautonomie“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Interview. Landeshauptmann Platter hätte gerne Steuerhoheit und würde dann unter anderem die Körperschaftsteuer senken. Wegen des Klimawandels macht er sich keine Sorgen um Tirol.

Im Osten Österreichs gibt es Hunderte arbeitslose Köche und Kellner, im Westen werden sie gesucht. Was macht Tirol so unattraktiv, dass niemand dorthin übersiedeln will?

Günther Platter: Das hat weniger mit der Attraktivität zu tun, denn Tirol ist ein sehr interessanter Standort. Der Mangel betrifft ja nicht nur Tirol, sondern ganz Österreich. Das ist ein Problem, mit dem man sich auch auf Bundesebene beschäftigen muss.

Aber was kann Tirol konkret unternehmen, um die offenen Stellen im Tourismus zu besetzen, die ja teilweise dazu führen, dass Restaurants oder Hotels nicht mit voller Kapazität wirtschaften können?

Es geht einerseits darum, den Lehrberuf generell und speziell in der Gastronomie wieder attraktiv zu machen. Und da gibt es bereits von den Arbeitgebern im Tourismus viele interessante Angebote, von Wohnungen für die Angestellten bis zu größeren Freizeitblöcken als Ausgleich zum Stress. Insgesamt sind wir in Tirol auf dem Gebiet recht erfolgreich, weil wir erstmals wieder seit vielen Jahren einen leichten Zuwachs bei den Lehrlingen haben. Es ist ja nichts Schlechtes, eine Lehre zu machen. Ich habe auch eine Lehre als Buchdrucker gemacht.

Vom Buchdrucker zum Landeshauptmann – war eine Zeit als Kellner dazwischen?

(lacht) Nein, das nicht. Aber es zeigt, dass man auch mit einer Lehre etwas anfangen und erreichen kann.

Generell zum Tourismus: Wie sehr macht Ihnen denn so ein warmer Herbst wie jetzt Sorge, dass es irgendwann mit dem Schnee und damit mit dem Wintertourismus in Tirol vorbei sein könnte?

Das macht mir keine Sorge. Man muss sich nur die Nächtigungszahlen anschauen, die nicht nur im Winter in Tirol sehr gut sind, sondern mittlerweile auch im Sommer. Ein Drittel des österreichischen Tourismus spielt sich in Tirol ab. Mir geht es aber nicht so sehr um Nächtigungsrekorde, sondern um Wertschöpfungsrekorde. Das ist die wichtigste Messlatte für den Tourismus, es muss um Nachhaltigkeit und Qualität gehen.

Aber wenn es keinen Schnee mehr gibt, nützt Tirol die ganze Qualität nichts.

Wir hatten den vergangenen Winter mehr als ausreichend Schnee. Wir haben aber auch hervorragende Beschneiungsanlagen, die den Schnee herstellen können, falls es die Natur nicht macht. Wir haben als Land erst jüngst sichergestellt, dass Kunstschnee in Tirol nur aus Wasser und Luft besteht und keine Zusatzstoffe beigemischt werden dürfen. Das war mir im Interesse der Umwelt ganz wichtig.

Ein anderes Problem im Tourismus ist ja die mangelnde Bereitschaft der jüngeren Generation, den Betrieb der Eltern zu übernehmen. Kann man hier als Land etwas machen?

Das stimmt, das ist nicht nur in der Hotellerie, sondern vor allem auch in der Gastronomie ein Problem. Hier braucht es bessere Regelungen für Betriebsübergaben, derzeit sind die Auflagen so hoch, dass sich das einige junge Menschen nicht antun wollen. In dem Bereich haben wir den Bürokratiedschungel noch nicht wirklich geordnet. Wir werden deshalb mit der Bundesregierung Gespräche führen, damit es zu einer Verbesserung kommt.

Zur Industrie: Wie lang, glauben Sie, können es sich Firmen wie Swarovski, Adler-Lacke, Handl-Speck oder die Plansee-Werke noch leisten, im Hochpreisland Tirol Produkte herzustellen?

Die Investitionen der Industrie in den vergangenen Jahren beweisen, dass der Standort sehr attraktiv ist. Swarovski hat gerade ein neues Werk gebaut, Handl hat ausgebaut, das Industrieunternehmen Thöni hat 70 Millionen Euro investiert – das ist für mich der wichtigste Parameter dafür, dass der Standort interessant und sicher ist. Das hat sicher auch damit zu tun, dass bei uns die Verfahren deutlich kürzer dauern als in anderen Bundesländern, in Bayern oder in Südtirol. Das trägt auch zur Attraktivität bei. In Summe ist Tirol als Wirtschaftsstandort sehr interessant, das sieht man an den Zuwächsen bei den Exporten – in den vergangenen zehn Jahren sind sie um mehr als 20 Prozent gestiegen – und beim Wirtschaftswachstum. Tirol wird heuer um etwa 3,5 Prozent wachsen, also deutlich stärker als im Österreichschnitt. Die guten Zahlen sieht man auch bei der Arbeitslosigkeit. Wir haben jetzt mehr oder weniger Vollbeschäftigung, die Zahl der Langzeitarbeitslosen in Tirol liegt beispielsweise bei knapp 500.

Was macht Tirol so viel besser als andere Bundesländer?

Wir haben tolle Unternehmen, die investitions- und auch risikofreudig sind. Und unsere Politik wird auch nicht alles falsch gemacht haben, wir haben beispielsweise in den vergangenen Jahren 135 Millionen Euro in verschiedene Impulsprojekte investiert.

Was könnte man denn als Politik nicht besser machen? Es gibt immer wieder Klagen wegen der hohen Lohnnebenkosten, wegen der hohen Körperschaftsteuer.

Ich bin ein großer Befürworter einer Steuerautonomie. Ich thematisiere das immer wieder auf Bundesebene, dort sieht man das mit eher bescheidener Begeisterung. Aber ich werde bei diesem Thema nicht lockerlassen. Denn die Steuerautonomie würde es ermöglichen, den Föderalismus noch stärker zu entwickeln. Außerdem entstünde ein Wettbewerb zwischen den Bundesländern, das wäre nicht schlecht, Konkurrenz befruchtet und führt zu Verbesserungen. Das sieht man auch in der Schweiz, wo es ebenfalls in den Regionen unterschiedliche Steuermodelle gibt.

Steuerautonomie würde heißen: eigene Einkommensteuertarife und auch einen anderen Steuersatz für Firmen?

Ja, genau das. Das müsste eine umfassende Reform sein. Man würde österreichweit natürlich einen bestimmten Rahmen brauchen, eine bestimmte Basis mit vorgegebener Bandbreite. Würde man alles auf den Kopf stellen, würde das nur zu chaotischen Zuständen führen. Wir in Tirol wollen aber beispielsweise insgesamt die Unternehmen entlasten, also mit einer geringeren Körperschaftsteuer, und die Arbeitnehmer mit einem geringeren Satz bei der Einkommensteuer.

Kann sich das Land das finanziell leisten?

Seit dem Jahr 2012 haben wir kein einziges Mal Schulden gemacht. Im Gegenteil, wir haben Schulden abgebaut, weil wir ausgeglichen budgetiert oder sogar einen Überschuss erwirtschaftet haben. Aktuell hat Tirol bei einem Jahresbudget von etwa 3,8 Milliarden Euro gerade einmal Gesamtschulden in der Höhe von 270 Millionen Euro, das sind umgelegt auf die Einwohner etwa 360 Euro pro Kopf. Das ist die geringste Verschuldung aller Bundesländer.

Und was macht man mit dem Geld?

Wir können uns Impulspakete leisten, etwa das Haus der Musik oder auch den Ausbau der Fachhochschule, ohne dass wir dafür neue Schulden machen müssen. Wir bringen damit auch die Tirol-Holding auf Schiene: Die Tirol-Werbung, die Agrarmarketing und auch die Standortagentur kommen mit der Holding unter ein Dach. Die Holding richtet die Strategie des Landes aus, das Kastldenken, das es bisher teilweise gegeben hat – die Tirolwerbung macht das, das Agrarmarketing jenes –, ist damit Geschichte. Es wird eine einheitliche Linie des Landes geben, etwa bei den landwirtschaftlichen Produkten. Die Marke Tirol wird nicht mehr nur für den Tourismus verwendet, sondern auch in der Wissenschaft und Forschung.

Das Nicht-Schuldenmachen-Wollen – ist das eine typisch westliche Eigenschaft?

Das ist ein simples Grundverständnis. Wenn es uns finanziell gut geht, wenn die Wirtschaft wächst und wir gute Steuereinnahmen haben, sollten wir nicht wieder neue Schulden machen. Eine solche Zeit muss man nützen, um einzusparen und Schulden abzubauen. Ich will nicht der nächsten Generation einen großen Schuldenberg überlassen, das wäre unverantwortlich. Sie soll Entwicklungsmöglichkeiten haben und auch das Geld, um selbst etwas aufbauen zu können.

Wechseln wir das Thema zum aktuell größten Problem Tirols: dem Transit. Der Schwerverkehr auf der Inntalautobahn nimmt ständig zu, Gegenmaßnahmen scheinen nicht zu wirken.

Der Transit hat bei uns Ausmaße angenommen, dass die Belastungsgrenze für Mensch, Natur und auch für die Infrastruktur überschritten wird. Die enormen Steigerungen beim Lkw-Transit kommen daher, dass der Verkehr auf der Straße einfach zu billig ist. 40 Prozent des gesamten Lkw-Aufkommens ist Umwegtransit, weil die Strecke über den Brenner nicht so teuer ist wie durch die Schweiz. Jetzt gibt es aber Entwicklungen, die in die richtige Richtung gehen, bei der Korridormaut etwa. Tirol verlangt 88 Cent pro Kilometer, in Südtirol, Trentino und Bayern sind es 15, 16 Cent pro Kilometer. Ende November erhalten Südtirol und das Trentino die Konzession für die A22 Brennerautobahn, damit können sie die Maut dort erhöhen. Wir haben also von Kufstein bis Verona oder Trient eine Korridormaut, die deutlich höher ist. Das wird sicher zu einer Verbesserung der Situation führen.

Und die Bayern?

Da bleibt uns nur, weiterhin Druck zu machen. In Deutschland gibt es ja noch nicht einmal Planungen für die Zulaufstrecken zum Brennerbasistunnel, mit dessen Eröffnung 2027 das Transitproblem endgültig gelöst werden soll. Also machen wir Druck, beispielsweise mit den Blockabfertigungen an der Grenze. So wird der Lkw-Verkehr durch Tirol etwas erträglicher, und wir haben nicht einen durchgehenden Stau auf der Autobahn. Außerdem hat die Blockabfertigung Bewegung in die politische Diskussion gebracht. Bis zu ihrer Einführung hat man die Klagen Tirols gegen den Transit nicht wirklich ernst genommen.

Wird man die Blockabfertigung, die ja in Bayern heftig kritisiert wird, noch weiter ausbauen?

Auf jeden Fall, das ist allein schon aufgrund des hohen Lkw-Aufkommens notwendig, denn es ist unsere Pflicht, die Versorgungs- und Verkehrssicherheit auf unserer Autobahn aufrechtzuerhalten. Das mögen die Bayern nicht, aber die Querschüsse interessieren mich nicht. Sie machen selbst jeden Tag Grenzkontrollen – wofür eigentlich? Wir leben nicht mehr im Jahr 2015, als die illegale Migration ihren Höhepunkt hatte. Aber wir haben weiterhin Grenzkontrollen, die tagtäglich zu kilometerlangen Staus führen. Da muss man sich nicht über die Blockabfertigung aufregen. Bei aller Freundschaft zu den Bayern – in der Frage gibt es von mir kein Nachgeben.

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