Der verurteilte mazedonische Ex-Premier Nikola Gruevski hatte in einer ungarischen Botschaft um Asyl gebeten. Nun wird gerätselt wie der Orbán-Verbündete ohne Pass einreisen konnte.
Budapest. Neue Wende in der Affäre um den nach Ungarn geflohenen, rechtskräftig wegen Amtsmissbrauchs zu zwei Jahren Haft verurteilten mazedonischen Ex-Premier Nikola Gruevski: Der rechtsnationale Politiker, der lang als treuer Verbündeter von Viktor Orbán, dem Ministerpräsidenten Ungarns, galt, suchte nach Angaben des ungarischen Kanzleramtsministers, Gergely Gulyás, „eine ungarische Botschaft im Ausland“ auf und gab dort seine Absicht bekannt, nach Ungarn zu kommen und dort politisches Asyl zu beantragen. Die Behörden hätten daraufhin entschieden, seine Asylanhörung nicht wie vorgeschrieben an der Grenze, sondern in Budapest abzuhalten.
Das Verhör dort habe „sehr lang gedauert“, sagte Gulyás. Die ungarischen Behörden würden sicherstellen, dass Gruevski bis zum Abschluss seines Asylverfahrens das Land nicht verlassen könne. Ein Auslieferungsbegehren Mazedoniens sei bisher nicht eingegangen – die dortige Regierung gab hingegen bekannt, die Auslieferung beantragt zu haben. Ein solches Verfahren könne „mehrere Monate dauern“, sagte Gulyás. Das Asylverfahren selbst dauert nach ungarischem Recht 60 Tage, der Betroffene kann gegen den Beschluss dann Einspruch erheben, was wiederum Zeit erfordert.
Ausnahme für Orbáns Freund
Ex-Premier Nikola Gruevski war am 9. November nicht zum Antritt seiner Haftstrafe in einem mazedonischen Gefängnis erschienen. Die mazedonische Polizei hatte daraufhin am Montag einen Haftbefehl ausgestellt. Am Dienstag hatte Gruevski dann auf Facebook bekannt gegeben, er sei in Budapest und habe in Ungarn Asyl beantragt.
Die Behörden bestätigten das mit einiger Verspätung, und am Mittwoch teilte das Ministerpräsidentenamt in einer knapp formulierten Erklärung mit, entgegen geltenden Regeln habe man Gruevski „aus Sicherheitsgründen“ erlaubt, seinen Asylantrag im Zentralgebäude der Einwanderungsbehörde in Budapest zu stellen, „angesichts der Tatsache, dass er zehn Jahre lang Mazedoniens Ministerpräsident war“. Die normale Verfahrensweise sieht anders aus: Asylanträge können nur in ungarischen Auslandsvertretungen oder in sogenannten Transitzonen an der serbischen Grenze eingereicht werden.
In der Erklärung hieß es, die jeweilige mazedonische Regierung sei Ungarns Partner, und man werde bei Gruevskis Asylbegehren strikt nur „legale Aspekte“ berücksichtigen. Die Formulierung müsste eigentlich bedeuten, dass der umstrittene Ex-Premier trotz seiner langjährigen, sehr guten Beziehungen zu Orbán mit seinem Asylgesuch keine Chance auf Erfolg haben dürfte. Erstens wird er nicht politisch verfolgt, sondern ist wegen Korruption verurteilt und kann zweitens nur über ein „sicheres Drittland“ eingereist sein – entweder über Serbien oder auf dem Luftweg über Bulgarien. Gulyás gab dazu keine genaueren Angaben.
In ihrer Donnerstagsausgabe berichtete die linke Zeitung „Népszava“, ein Leser habe angegeben, Gruevski beim Verlassen der Einwanderungsbehörde gesehen zu haben. Er sei auf freiem Fuß gewesen und sei in einen Laden gegangen, um etwas einzukaufen.
Wie konnte Gruevski einreisen?
Mazedonische Presseberichte, Orbán habe den flüchtigen Mazedonier in seinem Büro im Budapester Parlament empfangen und Gruevski habe in Orbáns Haus übernachtet, wurden von den ungarischen Stellen dementiert. Das Luxushotel Corinthia, in dem Gruevski anderen mazedonischen Berichten zufolge genächtigt haben soll, hat angegeben, nichts über seinen Verbleib zu wissen.
Unklar ist, wie Gruevski legal einreisen konnte, nachdem die mazedonischen Behörden seinen Pass eingezogen hatten. Gulyás zufolge reicht ein Personalausweis für Grenzübertritte zwischen diversen Balkanländern. Gruevski sei auch legal nach Ungarn eingereist. Der Personalausweis dürfte dafür aber nicht gereicht haben, da Mazedonien kein EU-Mitglied ist.
Ein Sprecher des Außenministeriums verwies Journalisten bei der Frage nach Gruevskis Reisedokumenten an die „bulgarischen Behörden“ – viele Mazedonier besitzen einen bulgarischen Pass (also einen EU-Pass). Bulgarien hält alle slawischen Mazedonier für ethnische Bulgaren, die Anrecht auf die Staatsbürgerschaft haben. Auch die ungarische Zeitung „Népszava“ berichtete unter Berufung auf Regierungskreise, Gruevski besitze möglicherweise einen bulgarischen Pass. Die bulgarischen Behörden dementierten dies jedoch. Mit einer anderen Reiseroute wartete die serbische Tageszeitung „Politika“ auf. Demnach sei Gruevski mit einer Maschine der ungarische Fluglinie Malev aus der albanischen Hauptstadt, Tirana, nach Budapest geflogen. Auch dafür gibt es keine offizielle Bestätigung. Der Landweg von Mazedonien nach Ungarn würde über Serbien führen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2018)