Kanada: Im Reich des Champagne Powder

Treeskiing. Albertas Kiefernwälder sind Spielplatz der Powder-Süchtigen.
Treeskiing. Albertas Kiefernwälder sind Spielplatz der Powder-Süchtigen.(c) Reuben Krabbe
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Auf Tiefschneesafari durch die kanadischen Rockies, wo jeder ein Verbündeter ist, solange er nur das Skifahren genauso liebt.

Großartige Skifahrer, dachte sich Gord Fielding, sicher die besten, die er je gesehen hatte. Aber etwas seltsam kamen ihm diese Typen schon vor. Es dauerte eine Weile, bis dem frisch gebackenen kanadischen Skilehrer klar wurde, wer da aller hinter ihm herfuhr: Es waren die legendären Crazy Canucks rund um Ken Read mit einem nicht minder verrückten Österreicher im Schlepptau, einem gewissen Franz Klammer, die sich da ins Bow Valley von Alberta verirrt hatten und nun sein beschauliches Skiresort unsicher machten. Gekommen waren sie wegen der Chicken Wings und dem kanadischen Bier, zwischendurch ließen sie es am Mount Norquay krachen. „Die haben so richtig Gas gegeben", erinnert sich Fielding, mittlerweile ein „hill veteran".

Runs mit Namen. Seit damals, als die Crazy Canucks ganz nach dem Motto „Sieg oder Akia" den alpinen Abfahrtslauf dominierten – Ken Read gewann 1980 auf der Streif –, hat sich nicht allzu viel verändert in Mt. Norquay. Die Sessellifte, immerhin vier an der Zahl, sind praktisch dieselben, und auch Fielding ist immer noch da, inzwischen als Skischulleiter, der sich nach wie vor ärgern kann, dass er an diesem wolkenlosen Tag seine Kamera nicht dabei hat, um das Panorama über dem Banff Nationalpark einzufangen. Sofern einem keiner dieser kilometerlangen kanadischen Güterzüge in die Quere kommt, ist Norquay nur zehn Autominuten vom Städtchen Banff entfernt und damit das skifahrerische Tor in die kanadischen Rocky Mountains. Hier haben seit 1926 Generationen von Kanadiern die ersten Schwünge gelernt, die Großstadt Calgary ist nur gut eineinhalb Stunden entfernt, für nordamerikanische Verhältnisse also um die Ecke. Fielding könnte nicht unrecht haben, wenn er behauptet, in Norquay seien die besten „Groomer" (Pistenpräparierer) ganz Kanadas am Werk. Spannender sind freilich jene Abfahrten, die nur in Ausnahmefällen oder überhaupt nie eine Pistenraupe zu Gesicht bekommen. Crazy Canuck heißt seit dem Besuch dieser waghalsigen Truppe eine solche, eine andere Silver Legacy, benannt nach ein paar über 80-jährigen, grau melierten Einheimischen, die hier immer noch Tag für Tag ihre Skier anschnallen. Head Hunter wiederum geht auf Eddie Hunter zurück, einen Skipionier, der die Chronik dieses Bergs einst zu Papier brachte („The Spirit of Norquay"). So hat jeder Hang seine eigene Geschichte, die Talabfahrt einfach „1a" zu nennen käme hier niemanden in den Sinn.

Double Black. Schattig, steil, felsdurchsetzt: die Back Bowls von Lake Louise.
Double Black. Schattig, steil, felsdurchsetzt: die Back Bowls von Lake Louise.(c) Reuben Krabbe

Winterschlaf im Skiresort. Es ist Ende März und die Schneedecke würde den Betrieb noch bis weit in den Frühling erlauben. Doch aus Kicking Horse, 150 Kilometer weiter westlich und seit heuer Stopp der Freeride World Tour (die Salzburgerin Eva Walkner gewann die Premiere), hört man, dass „Boo the Bear" schon aufgewacht sei. Die Bären sind es, die in den kanadischen Rockies das Saisonende bestimmen. Auserkoren haben sie dafür den Mai, dann spätestens beenden sie ihren Winterschlaf. Boo ist traditionell etwas früher dran, er ist der Vorbote seiner Artgenossen. Der Grizzly lebt seelenruhig (und eingezäunt) mitten im Skigebiet von Kicking Horse. Einmal ist er ausgebüxt, schnell haben sie ihn wieder eingefangen – zumindest glaubten sie das. In Wirklichkeit war es ein Artgenosse, der Irrtum wurde erst bemerkt, als Boo ein paar Tage später aus freien Stücken zurückgetrottet kam. Auch in Norquay, erzählt Fielding, kreuzen sich gelegentlich die Wege von Skifahrern und Bären. Ein Angestellter des Skigebiets, so ein „city slicker" aus Toronto, musste einmal die Flucht ergreifen und wollte danach den ganzen Tag nicht mehr vom Baum herunter.

Old School. Es geht aber noch authentischer in Alberta. Einige Autostunden südlich, raus aus dem Banff-Nationalpark, über den Vermilion-Pass und vorbei am Dorf Radium Hot Springs, einer Hochburg von deutschen Auswanderern und offenbar auch Österreichern – im Old Salzburg gibt es weithin bekannte Schnitzel –, liegt Castle Mountain, ein abgeschiedener Zufluchtsort für wahre Skipuristen. Schon bei der Anfahrt auf der Schotterstraße durchs Westcastle Valley wird klar: Hier hat niemand etwas übrig für Pools und Spas, Coffeeshops und Gourmet-Lodges oder was sonst noch vom eigentlichen Zweck des Aufenthalts ablenken könnte, nämlich dem Skifahren. Das ist hier auch gelebte Politik. Es waren jene Skienthusiasten, die Winter für Winter in Bussen und Wohnmobilen am Fuß des Berges verbracht haben, die das Skigebiet 1996 übernahmen und so vor dem Aus retteten.

Wildnis. Bären haben in den Rockies das Sagen, Winterschlaf hin oder her.
Wildnis. Bären haben in den Rockies das Sagen, Winterschlaf hin oder her. (c) Destination BC/Ryan Dickie

Das Terrain, das einem dieser altersschwache rote Sessellift, einer von insgesamt nur vier, eröffnet, ist schlichtweg atemberaubend. Das Beste am schier endlosen Backcountry von Castle: Es ist, als hätte man den Berg für sich allein. Stolz erzählen sie im T-Bar Pub & Grub unten im Tal, dass an diesem einen Montag, einem der besten Tage des Winters, blauer Himmel, 50 Zentimeter frischer Pulverschnee in der Nacht zuvor, gerade einmal 375 Menschen im Skigebiet gezählt wurden.

Spätestens aber wenn sich Castle von seiner unwirtlicheren Seite zeigt, wenn Schneefall und dichter Nebel den Berg umhüllen, wenn die Bäume noch von der Kälte der vergangenen Monate zeugen, wird klar: Dieser Ort ist der absolute Gegenentwurf zum glamourösen, allseits bekannten Whistler in British Columbia, das sie hier, im äußersten Südwesten Albertas, nur das „Disneyworld of skiing" nennen, weil die Preise explodieren und die Modeopfer der Skiszene am Pistenrand hinabstolpern und sich Freerider nennen. Der neueste Lift in Castle hingegen trägt sein Baujahr mit Stolz: 1988. Sie haben ihn vor gut zehn Jahren aus Beaver Creek geholt. Genehmigung, ihn aufzustellen, gab es keine, die Schneise für den Huckleberry Chair wurde auch so geschlagen.

The Griz. Wer es dann doch eine Spur mondäner mag, muss nur einen Abstecher hinüber nach British Columbia machen. Fernie, rund 70 Kilometer nördlich der US-Grenze, bietet eine charmante Mischung. Während sich am Berg alles um den „Champagne Powder" dreht, sind unten im 5000-Einwohner-Städtchen die Hipster auf dem Vormarsch. Seine Schneemassen hat das Fernie Alpine Resort dem Griz zu verdanken. Der Legende nach schießt dieser Mann, 1879 in einer Bärenhöhle geboren und bisweilen mit Bärenmantel gesichtet, mit seiner Flinte den Pulverschnee aus den Wolken. In Wirklichkeit ist es ein spezielles Mikroklima, das dem Elk Valley in einem durchschnittlichen Winter neun Meter Schnee beschert. Und zwar nicht irgendeinen, es ist der „Fernie Champagne Powder", staubtrocken, leicht und locker, nicht das feuchte Zeug, das im Westen der Rockies vom Himmel fällt (obwohl selbst dieses die kühnsten Pulverschneeträume eines Europäers buchstäblich pulverisiert).

Polar Peak. Am Fuße liegt Fernie: Mix aus Coolness und Westernphilosophie.
Polar Peak. Am Fuße liegt Fernie: Mix aus Coolness und Westernphilosophie.(c) Destination BC/Dave Heath

Unten im Tal, eigentlich ein Kohlebergbaugebiet und während der Prohibition eine Hochburg des Alkoholschmuggels, gibt es alles, was das Hipsterherz begehrt. Coffeeshops und Kaffeeröster, die obdachlose Jugendliche in Peru unterstützen, handgemachte vegane Eiscreme und ein Craft Beer, von dem sie überall in den Rocky Mountains schwärmen („Fernie Brewing"). Menschen wie Annica Collombin, gebürtige Schwedin, Künstlerin, Galeristin und Skilehrerin – einst auch in Kitzbühel, Toni Sailer war ihr Chef –, sorgen für das internationale Flair am Ufer des Elk River. Man gewinnt den Eindruck, als wäre jeder genau dort, wo er sein möchte, egal ob die australischen „Lifties" oder die Pizzabäcker im Loaf. Jeder ist ein Verbündeter, solange er nur das Skifahren genauso liebt.

Das ganze Geschäftsleben steht allerdings still, sobald die „20-Zentimeter-Regel" in Kraft tritt. Mancherorts sollen auch schon 15 Zentimeter reichen – wie auch immer: Wird diese Neuschneemenge erreicht, hält es niemanden mehr in den Büros oder Geschäften. Wieso auch, einkaufen geht sowieso keiner mehr, alle haben nur noch ein Ziel: den Pulverschnee in den Back Bowls von Fernie. Ist an so einem Tag ein Skirennen angesetzt, brauchen sie eben etwas länger bis zum Start. Der Umweg führt durch die abgeschiedene Siberia Bowl, in der weit und breit nichts mehr an ein Skigebiet erinnert, oder die Lizard Bowl unterhalb des mächtigen Polar Peak. Dort lockt auch eine Abfahrt namens Corner Pocket, die obere Rinne dieses Nordhangs ist so steil, dass Autoreifen und ein Seil verlegt wurden. So kann man sich nach unten tasten, Zurück gibt es nämlich keines mehr. Sind auch die letzten Waldabfahrten verspurt, wird diskutiert: Welche ist nun die bessere Seite von Fernie? Die alte im Norden, wo gerade eine Elchkuh samt Jungtier ihr Unwesen treibt? Oder doch die „neue Seite"? So nennen die Einheimischen den südlichen Teil, obwohl er seit über 15 Jahren erschlossen ist. Neue Lifte wollen sie in Fernie ohnehin keine, zu schnell wäre sonst an einem Tiefschneetag alles ausgefahren. Heute findet man auch nach dem obligatorischen Abstecher im Lost Boys Café noch unberührte Flecken.

Einkehren. Statt Germ-
Einkehren. Statt Germ-(c) Pan Pacific/flickr (CC BY 2.0).

Bisonfleisch und Grizzly Paw. Zurück im Banff-Nationalpark kommt man um Lake Louise nicht herum. Die nicht sonderlich spektakulären und bitterkalten Abfahrtsläufe im alpinen Skiweltcup dienen dem 1000-Einwohner-Nest am Trans-Canada Highway einzig und allein, um im Gespräch zu bleiben, vor allem in Europa. Nimmt man aber den Tellerlift bis zur Spitze des Whitehorn Mountain, tut sich in den schattigen Back Bowls eine völlig andere Welt auf. Steil, massiv, felsdurchsetzt, „Double Black" eben, wie die anspruchsvollsten Abfahrten in Kanada heißen, das Gegenstück zu den flachen Autobahnen auf der Südseite, wo Lindsey Vonn so gern gegen die Männer fahren würde, aber nicht darf.

Doch selbst Lake Louise mit seinem türkisblauen Gletschersee, an dessen Ufer das berühmte Luxushotel thront, wirkt im Vergleich zum gemeinen Alpen-Skigebiet leer und wie aus der Zeit gefallen. Im Nationalpark ist schließlich alles kompliziert. Die Betten sind beschränkt, neue Lifte undenkbar. Bereits die alten zu ersetzen wird nur in Ausnahmefällen genehmigt.

Klappt es dennoch, wie in Sunshine Village, keine 20  Minuten von Banff, ist das Grund genug, das Marketingbudget entsprechend zu strapazieren. 2014 wurde hier der erste und einzige beheizbare Sessellift in ganz Kanada aufgestellt – und entsprechend beworben. Dabei liegen die Qualitäten von Sunshine nicht etwa in den Aufstiegshilfen, sondern im Terrain. Goat’s Eye und Delirium Dive heißen die Highlights, Double Black ­versteht sich, Spektakuläreres ist mit weniger Aufwand wohl kaum zu erreichen. Unten in den Lodges wird Poutine serviert, ein kanadisches Nationalgericht, Pommes und Käsebruch, übergossen mit Bratensoße. Außerdem, wie überall in Alberta, das heimische Rindfleisch. Oder Bison. Und Chicken Wings. Dazu Gebrautes aus der Gegend, ein Grizzly Paw etwa. Franz Klammer hätte seine Freude gehabt. Und Ken Read, der oberste Crazy Canuck, hat sich überhaupt nur ein paar Kilometer weiter niedergelassen, in Canmore. Längst ist er Teilhaber von Mt. Norquay, das er einst unsicher gemacht hat.

Infos

Skisafaris Kanada: bei Stumböck, mit 7 Übernachtungen ab 2548 Euro, inkl. Flug (Air Canada) und Liftkarten. stumboeck.com

Ski Big 3: Sunshine-Lake Louise-Norquay. 1,5 bis 2 Autostunden von Calgary, im Banff-Nationalpark, 1630 bis 2730 m, 23 Lifte, Skisaison: Anfang November bis Ende Mai. skibig3.com

Castle Mountain: 2,5 Auto­stunden von Calgary, 1410 bis 2273  m, 6 Lifte, Cat Skiing, ­Saisonstart: 14. 12. skicastle.ca

Fernie: drei Autostunden von Calgary, 1050 bis 2130 m, 10 Lifte, Saison ab 30. 11., skifernie.com

Unterkünfte: Banff Park Lodge in Banff, banffparklodge.com

Lizard Creek Lodge in Fernie, lizardcreek.com

Info Alberta und BC: travelalberta.com, www.hellobc.de

Compliance-Hinweis: Die Reise erfolgte auf Einladung von Club Reisen Stumböck, Travel Alberta & Destination British Columbia.

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