Neuer Konflikt um Pflege

Die Menschen werden immer älter; die Pflege ist eine der großen Herausforderungen der Zukunft.
Die Menschen werden immer älter; die Pflege ist eine der großen Herausforderungen der Zukunft.REUTERS
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Das Budget 2018 dürfte nicht halten, weil die Länder mehr Geld für die Pflege wollen. Im Burgenland möchte man zudem, dass der Bund für Alternativmodelle zu Heimen mitzahlt.

Wien. So viel Harmonie zwischen Bund und Ländern wie heuer gab es schon lang nicht mehr. Die früher fast monatlichen Auseinandersetzungen über Zuständigkeiten und Finanzen gibt es – wenn überhaupt – nur hinter verschlossenen Türen.

Damit dürfte es jetzt vorbei sein: Denn die Länder machen in einem Schreiben an die Regierung klar, dass sie mehr Geld für die Abschaffung des Pflegeregresses wollen („Die Presse“ berichtete in der Freitag-Ausgabe). Doch der Bund beharrt darauf: Die vereinbarten 340 Mio. Euro seien ein Höchstbetrag. „Darüber wird es noch die eine oder andere Diskussion geben“, meint Burgenlands Finanzlandesrat, Hans Peter Doskozil, im Gespräch mit der „Presse“. Und Wiens Gesundheitsstadtrat, Peter Hacker, meint: „Ich gehe davon aus, dass die 340 Millionen Euro weit überschritten werden. Mein Problem ist das aber nicht, sondern das ist das Problem von dem, der das falsch kalkuliert hat.“ Gemeint ist damit Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP).

Schweigen bei ÖVP-Ländern

Die beiden SPÖ-Politiker waren gestern als Einzige bereit, offiziell zu der Auseinandersetzung mit der ÖVP/FPÖ-Regierung Stellung zu nehmen. In mehreren ÖVP-geführten Ländern wollte man den Konflikt nicht schüren und sich nicht zu der Kostendiskussion äußern. Hinter vorgehaltener Hand sagte man aber in einem Landeshauptmannbüro: „Natürlich muss es mehr Geld geben.“ Auch im Finanzministerium ging man auf Tauchstation, in einer knappen Erklärung hieß es lediglich: „Es gilt das abgeschlossene Abkommen.“

Dieses Abkommen vom Mai zwischen dem Finanzminister und den Landeshauptleuten wird aber unterschiedlich interpretiert. Finanzminister Löger sprach in einem Ministerratsvortrag am 24. Oktober von 340 Millionen Euro als „Höchstbeitrag“ des Bundes. Landesrat Doskozil meinte dagegen am Freitag: „Das ist eine erste Zahlung, abgerechnet werden die tatsächlichen Kosten.“ Das sei auch so in der Landeshauptleutekonferenz diskutiert worden.

Wiens Stadtrat Hacker führt zusätzlich die Kosten an, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs anfallen, wonach die Abschaffung des Pflegeregresses auch für Altfälle gelte. „Das macht die Rechnung natürlich teurer.“ Diese Zusatzkosten hätten sich bei den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern im Mai 2018 noch nicht abgezeichnet. Daher sei die alte Kalkulation „nicht mehr gültig“. Er gehe von Gesamtkosten von 500 Mio. Euro aus.

Für Burgenlands Landesrat Doskozil liegt der Schwerpunkt jetzt darauf, Alternativen zu einer teuren Betreuung in Pflegeheimen zu finden. Er hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die im ersten Quartal 2019 verschiedene Modelle präsentieren soll. Diese könnten noch im kommenden Jahr umgesetzt werden.

Geld für pflegende Angehörige

Doskozil denkt beispielsweise daran, die Förderung von bis zu 600 Euro, die es derzeit vom Land für eine 24-Stunden-Pflegekraft gibt, auch den Angehörigen zu bezahlen. Man überlege auch, wie man diese pflegenden Angehörigen sozialversichern könne. Mit diesen Maßnahmen könnte man insgesamt die Pflege zu Hause forcieren. Ein weiterer Schritt könne sein, Wohnbauförderungsmittel umzuschichten, um damit einen behindertengerechten Umbau zu Hause zu unterstützen.

Ganz grundsätzlich müsse man überlegen, ob die Pflege ein Bereich sei, „in dem man auf dem Rücken der Pflegebedürftigen und der Allgemeinheit Gewinn machen muss“. Doskozil: „Die Pflege ist kein klassischer Wirtschaftsbetrieb, sondern eine Daseinsvorsorge.“ Man könnte also beispielsweise Vereine zur Pflege forcieren, die nicht gewinnorientiert sind.

All diese Maßnahmen, die man im kommenden Jahr konkret diskutieren werde, sollen dazu beitragen, dass weniger Menschen in Pflegeheime gehen und damit hohe Kosten verursachen. „Da müsste dann natürlich auch der Bund wieder mitzahlen, weil er am Ende ebenfalls davon profitiert“, meinte Doskozil.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2018)

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