Die Auslegung des Zwölf-Stunden-Tages schlug Wellen im Tourismus. Hoteliers und Gewerkschaft versuchen sich in Imagepolitur.
Wien. Michaela Reitterer möchte nicht für alle Hoteliers Österreichs ihre Hand ins Feuer legen. Das stellte sie gestern, Dienstag, in der Zentrale des Gewerkschaftsbunds schnell klar.
Anfang des Monats gingen die Wogen rund um ihre Aussage zum neuen Arbeitszeitgesetz hoch. Die Präsidentin der Österreichischen Hoteliervereinigung hatte sich im Radio gefragt, wie freiwillig die Freiwilligkeit beim Zwölf-Stunden-Tag ist, wenn sie der Dienstnehmer vertraglich zusichern muss. Das war in einigen Hotels passiert. Tourismus-Gewerkschafter Berend Tusch (Vida) hakte ein: Für Reitterer sei Freiwilligkeit offenbar eine Formulierung, die man streichen kann.
Bemühte Eintracht
Zwei Wochen später stehen die beiden Seite an Seite in der ÖGB-Zentrale und sind bemüht, die Kritik konstruktiv und das Wort „miteinander“ hochzuhalten. Einig wird man sich an diesem Vormittag nicht, ob es sich bei den Fällen um „schwarze Schafe“ oder um ein „System im Westen“ handelt.
Tusch und Reitterer betonen lieber, angesichts des Fachkräftemangels und des Imageproblems der Branche an einem Strang ziehen zu wollen. Wie weit die Standpunkte auseinanderliegen, zeigt aber der Grund der Versammlung: Das Ifes-Institut (im Eigentum des Gewerkschaftsbundes) lud zur Präsentation seines Arbeitsklima-Index. Seit mehr als zwanzig Jahren wertet es stichprobenartig aus, wie zufrieden die Mitarbeiter im Tourismus sind. Das Ergebnis war nie euphorisch. Auch dieses Jahr sind die Befragten tendenziell wieder gestresster, belasteter und unzufriedener mit Einkommen und Sozialleistungen als in anderen Branchen. Eine sechste Urlaubswoche und höhere Einstiegslöhne wären eine Idee, sagt Tusch. Der Saal applaudierte.
Bei allem beschworenen Miteinander reagieren die Arbeitgeber mit eigenen Auswertungen auf die wenig schmeichelhafte Ifes-Umfrage: Auch ihre Betriebsergebnisse würden trotz Umsatz- und Nächtigungsrekorden in der Top-Hotellerie weiter sinken, sagt Reitterer. „Wir haben die Gehälter um 2,3 Prozent erhöht. Und das Geld kommt am Ende des Monats nicht aus dem Automaten.“
Die Sympathie im Saal ist enden wollend. Die anwesenden Gewerkschafter erzählen von Mitarbeitern, die nach Hunderten Überstunden kollabiert oder unterbezahlt sind. „Wir haben vielleicht nicht zu hohe Mitarbeiterkosten, sondern zu wenig Umsätze“, sagt ein Kellner.
Was von solchen Diskussionen zu den Arbeitsuchenden dringt? „Die Flucht aus der Branche ist noch nicht gestoppt“, sagt Doris Litschauer, die in Wien Hietzing die AMS-Stelle für Tourismusbetriebe leitet. „Es wird wirklich eng mit manchen Fachkräften.“ Langsam merke sie aber ein Umdenken bei den Firmen. Vor allem im Westen würden immer öfter Ältere eingestellt, ausgebildet und auch länger behalten. „Aber es kommen keine Jungen nach. Wir müssten die Lehre wieder in den Vordergrund holen und auch in den Maturaklassen dafür werben“, sagt Litschauer. Das Paket Matura mit Lehre sei gut, der mediale Auftritt des Tourismus aber zu negativ belastet. „Raucher, Zwölf-Stunden-Tag, Allergene, was soll einen jungen Menschen dazu bringen, in diese Branche zu gehen?“
Forderungen auf dem Tisch
Die „Mitarbeiterabschreckpolitik“ der Regierung sei nicht hilfreich, sagt Tusch. Ob sich seine Branche ein Beispiel an den Metallern nehmen wird? Der neue Kollektivvertrag muss im Tourismus zwar erst im Mai stehen. Mitte Dezember beginnen aber schon die Gespräche. Fünf Prozent seien ein gutes Vorbild, sagt Tusch. Der Schwerpunkt liegt aber woanders. „Vor allem wollen wir einen Ausgleich in Ruhezeit statt Geld ab der elften Stunde.“ Die Forderungen liegen auf dem Tisch. Bis zum Frühling könnte es heiß bleiben.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2018)