Die Europäische Kommission warnt vor Italiens Schuldenpolitik und öffnet die Tür für ein Defizitverfahren samt Geldbußen.
Brüssel. Wer am Mittwoch geglaubt hatte, Italiens Regierung werde im Haushaltsstreit mit der Europäischen Kommission und den restlichen Mitgliedern der Eurozone einlenken und sich somit eine EU-Verfahren samt möglichen erstmaligen Bußgeldzahlungen ersparen, war auf dem Holzweg. Weder die linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung noch ihr rechtsautoritärerer Koalitionspartner Lega gedenkt davon abzugehen, nächstes Jahr 2019 mehr neue Schulden zu machen, als es Italiens Verpflichtungen aus dem Stabilitätspakt entspricht. Und so tat die Kommission das, was von ihr erwartet worden war: Sie erklärte förmlich, dass der italienische Haushaltsentwurf eine „besonders schwerwiegende Nichteinhaltung“ jener Budgetempfehlungen war, welche sie an Rom geschickt hatte. Das bedeutet, dass nun die Tür offen ist für ein Defizitverfahren samt Strafsanktionen.
Eurofinanzminister am Ball
„Ist der Brief schon da? Ich warte auch auf einen vom Christkind“, höhnte Lega-Chef Matteo Salvini am Mittwoch. Europa müsse „lernen, das italienische Volk zu respektieren.“ Er denke nicht daran, die Abschaffung der von seiner Vorgängerregierung eingeführten Reform des Pensionssystems wieder rückgängig zu machen.
Streng genommen hat die Kommission nun noch nicht empfohlen, dass ein Verfahren wegen überschießenden Defizits gegen Italien eröffnet wird. Zuerst müssen die Vertreter der anderen 18 Mitgliedstaaten der Währungsunion ihren Bericht studieren und ihre Meinung dazu abgeben. „Es liegt nun an den Mitgliedstaaten, binnen zwei Wochen auf Basis dieses Berichts zu entscheiden“, sagte Pierre Moscovici, der Kommissar für Wirtschafts- und Währungspolitik, am Mittwoch in Brüssel. Es wäre „mehr als logisch“, würden sie den Einschätzungen und Schlussfolgerungen der Kommission folgen. „Die Zahlen sprechen für sich selbst“, fügte Valdis Dombrovskis hinzu, Vizepräsident der Kommission und als solcher für den Euro zuständig.
In der Tat weichen die Bewertungen der italienischen Regierungen und jene der Brüsseler Behörde stark voneinander ab. „Es wird weder erwartet, dass Italien das Ziel zur Schuldenreduzierung im Jahr 2018 noch im Jahr 2019 erreicht“, heißt es im Bericht der Kommission. Der Schuldenstand werde bis zum Jahr 2020 stabil bei rund 131 Prozent der Wirtschaftsleistung bleiben; höhere Schulden hat in der EU nur Griechenland. Nach 2020 jedoch würden nach Ansicht der Kommission „steigende Finanzierungskosten, ein verringerter Primärüberschuss und Privatisierungserlöse, die unter Ziel liegen, die Schuldenreduzierung behindern.“
Zudem sei die Hoffnung der italienischen Regierung, mit erhöhten staatlichen Ausgaben die Konjunktur ankurbeln zu können, irrig. „Bei ohnehin schon sehr hohem Schuldenstand plant Italien eine bedeutsame neue Schuldenaufnahme, die nach unserer Ansicht nicht das Wirtschaftswachstum fördern wird“, warnte Dombrovskis. „Ich sehe nicht, wie die Fortsetzung dieses Weges zu mehr wirtschaftlicher Souveränität führen soll. Im Gegenteil: Das wird später umso höhere Sparmaßnahmen nötig machen.“
Oder, um es in Moscovicis Worte zu kleiden: „Woher soll dieses Extrawachstum kommen? Wer soll die Kosten dieser Extraausgaben tragen?“
Conte bei Juncker
Die nüchternen Zahlen sind das eine, der politische Umgang mit ihnen das andere. In Brüssel ist man sich der Gefahr bewusst, mit diesem Budgetstreit die Selbstdarstellung der römischen Regierung als „Robin Hood“ im Kampf gegen ein seelenloses Eurokratenregime zu fördern. Das will man angesichts der nahenden Wahlen zum Europaparlament im kommenden Mai nicht riskieren. Und so wird mit Spannung auf das Abendessen von Ministerpräsident Giuseppe Conte mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Samstag, vor dem Brüsseler Sondergipfeltreffen zum Brexit, geblickt.
Der nächste Stichtag ist der 3. Dezember. Da ist die nächste Sitzung der Eurogruppe angesetzt, des Gremiums der Eurofinanzminister also. Sie könnten dann das Defizitverfahren formal eröffnen – mit ungewissem Ausgang.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2018)