Antisemitismus-Konferenz: Kampfansage gegen den Judenhass

Es sei „unvorstellbar“, dass Judenhass fast 75 Jahre nach der Shoah noch existiere, sagte Bundeskanzler Kurz auf der Antisemitismus-Konferenz in Wien.
Es sei „unvorstellbar“, dass Judenhass fast 75 Jahre nach der Shoah noch existiere, sagte Bundeskanzler Kurz auf der Antisemitismus-Konferenz in Wien.APA/HANS PUNZ
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Juden in Europa fühlen sich zunehmend bedroht. Das wurde bei Treffen in Wien deutlich. Kanzler Kurz strebt zum Ende des EU-Vorsitzes eine Ratserklärung an.

Wien. Kurz vor Schluss wurde David Harris emotional. Drei Stunden lang hatten hochrangige Politiker, Diplomaten und Vertreter jüdischer Organisationen in der Alten Börse in Wien zu diesem Zeitpunkt bereits über den weltweit wachsenden Antisemitismus diskutiert. Jetzt ging es um die häufigen Verurteilungen Israels durch eine Mehrheit der UNO-Staaten. „Wo ist die Wut?“, rief der Chef des American Jewish Committee (AJC). „Es ist Zeit, Wut zu zeigen!“

Der Ausbruch richtete sich an die europäischen Regierungen – und damit auch an den derzeitigen EU-Ratsvorsitzenden und Gastgeber der Antisemitismus-Konferenz, Bundeskanzler Sebastian Kurz. Dieser zeigte Verständnis. „Es ist notwendig, dass die EU-Mitgliedstaaten das Stimmverhalten überdenken“, räumte Kurz ein. Es gehe zwar nicht darum, ständig Partei zu ergreifen. Aber das immer stärkere Vorgehen gegen Israel innerhalb der Staatengemeinschaft sei nicht richtig und müsse verändert werden. „Wir haben das in Österreich schon getan, und ich hoffe, dass dies in der EU weiter um sich greift – und wir von der Minderheit zur Mehrheit werden.“

Den Kampf gegen den Antisemitismus und mehr Solidarität mit Israel hat Kurz im Gedenkjahr 2018 zu einem Fokus seiner Regierung und des österreichischen EU-Ratsvorsitzes gemacht – ein Spagat angesichts der Tatsache, dass Israel und die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) in Wien den Koalitionspartner FPÖ weiter boykottieren. Bei der Wiener Konferenz (Titel: „Europa jenseits von Antisemitismus und Antizionismus – Sicherung des jüdischen Lebens in Europa“) war von Regierungsseite neben Kurz nur Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) vertreten.

„Es ist fünf nach zwölf“

Beim EU-Gipfel im Dezember, zum Abschluss des Vorsitzes, strebt Wien eine Erklärung des Rats gegen Antisemitismus an und plädiert dafür, sich auf eine gemeinsame Definition zu einigen. Ob das gelingt, ist ungewiss. Noch sträuben sich einige EU-Länder gegen die Erklärung – was der Vizepräsident des European Jewish Congress (EJC), Ariel Muzicant, in seiner Rede anprangerte. Europa stehe an einem Scheidepunkt. „Die nächsten Jahre entscheiden darüber, was mit den 1,5 Millionen Juden geschieht, die in Europa leben“, sagte er angesichts zunehmender Gewalt gegen Juden in Ländern wie Frankreich oder England. Es sei „nicht fünf vor zwölf, sondern fünf nach zwölf“.

Auch Armin Lange, Vorstand des Instituts für Judaistik der Universität Wien, warnte, antisemitische Vorurteile seien in Europa und weltweit „explodiert“. Lange ist einer der Autoren eines Handbuchs, das auf der Konferenz präsentiert wurde. Das Titelbild des Büchleins zeigt einen Ziegenbock, schwarze Hände deuten von allen Seiten auf das Tier. „Them“ prangt auf dem Körper des Tiers, „sie“. Die Juden als Sündenbock.

Auf 150 Seiten führen die Autoren – Wissenschaftler der Universitäten Wien, Tel Aviv und New York – darin auf, wie Judenhass in allen Teilen der Gesellschaft bekämpft werden kann. Ein „umfassender Angriff auf das gegnerische Tor“, wie Koautor Lawrence Schiffman von der New York University sagte. „Der Kampf muss an allen Fronten geführt werden.“ In den Schulen, an den Universitäten, in Unternehmen, religiösen und kulturellen Organisationen.

Kampf in sozialen Medien

Und im Internet. Manfred Weber, der konservative Spitzenkandidat bei den Europawahlen, erntete lauten Applaus für die Ansage: „Was in der gedruckten Welt nicht erlaubt ist, darf auch in den sozialen Medien nicht erlaubt sein.“ Ansonsten könne der Gesetzgeber harte Maßnahmen setzen.

Israels Ministerpräsident, Benjamin Netanjahu, erschien auf einer großen Leinwand statt am Rednerpult: Seinen Wien-Besuch hatte der Premier wegen der Regierungskrise abgesagt. In der Videobotschaft, vor Büchern und einem Familienfoto, pries er Kurz als Freund Israels und geißelte kämpferisch ein Wiedererstarken des Antisemitismus. Und: Antisemitismus und Antizionismus seien ein und dasselbe Problem. Ähnlich äußerte sich Kurz, der am Dienstag vom EJC mit dem Ehrenpreis Jerusalem Navigator ausgezeichnet worden war: Beides gehe Hand in Hand. Dass der Antizionismus ausdrücklich Thema der Konferenz war, hatte im Vorfeld für Kritik von palästinensischer Seite gesorgt.

Auszeichnung für Arik Brauer

Die Veranstaltung am Mittwoch war der Abschluss der zweitägigen Konferenz. Bei einem Festakt im Naturhistorischen Museum hatte Kurz am Vorabend dem 1929 in Wien geborenen jüdischen Maler und Sänger Arik Brauer das Große Goldene Ehrenzeichen der Republik Österreich verliehen. Dabei hatte der Künstler unter anderem beklagt, dass Israel-Bashing zu einem „Volkssport“ auf dem europäischen Kontinent geworden sei. „Aber Israel braucht Europa, und Europa bracht Israel.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2018)

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