Erweiterungskommissar Hahn und die Außenbeauftragte Mogherini zeigten sich beunruhigt über das Vorgehen der Behörden gegen Vertreter der Zivilgesellschaft. Außenminister Cavusoglu sprach von "Doppelmoral und Scheinheiligkeit".
In einer spannungsgeladenen Pressekonferenz haben hochrangige EU-Vertreter die Türkei für die jüngsten Festnahmen von Aktivisten gerügt. Die Union sei beunruhigt über die Inhaftierung von Journalisten, Menschenrechtlern und weiteren Vertretern der Zivilgesellschaft, erklärte EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn in Ankara.
"Strafrechtliche Verfahren müssen auf Grundlage der Unschuldsvermutung durchgeführt werden", sagte Hahn auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem türkischen Außenminister Mevlut Cavusoglu. "Journalisten und die Zivilgesellschaft müssen in der Lage sein, ihre bedeutende Arbeit zu machen."
Sicherheitsbehörden hatten am vergangenen Freitag in vier Provinzen 13 Vertreter der Zivilgesellschaft festgenommen. Zwölf sind mittlerweile wieder frei. Die Aktion richtete sich gegen Personen aus dem Umfeld des Vorsitzenden des Kulturinstituts Anadolu Kültür, Osman Kavala. Kavala, der auch mit dem Goethe-Institut zusammengearbeitet hat, sitzt seit Monaten ohne Anklageschrift in U-Haft. Ein Anklagepunkt ist die Unterstützung für die regierungskritischen Gezi-Proteste von 2013. Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte die Festnahmen unter Verweis auf "terroristische" Aktivitäten am Mittwoch verteidigt.
EU fordert Freilassung von Demirtas
EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini verurteilte die Verhaftungen ebenfalls und sagte, sie hoffe, dass der pro-kurdische Politikers Selahattin Demirtas bald freigelassen werde. "Die Türkei sollte dem Urteilsspruch des EGMR folgen", sagte Mogherini.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte am Dienstag geurteilt, die Türkei müsse den seit zwei Jahren inhaftierten Demirtas so schnell wie möglich aus der Untersuchungshaft entlassen. Erdogan hatte daraufhin erklärt, dass er die EGMR-Entscheidung zu Demirtas als nicht bindend betrachte.
Cavusoglu reagierte auf Mogherinis Mahnung verärgert. "Solche Leute" dürften von der EU nicht mit dem Hinweis auf Menschenrechte oder Meinungsfreiheit verteidigt werden. In Antwort auf Hahn sagte er, die EU solle aufhören, "jene zu verteidigen, die darauf hinarbeiten, die demokratisch gewählte Regierung der Türkei zu stürzen".
Hahn lehnte die Wiederaufnahme von Beitrittsgesprächen mit der Türkei erneut ab. "Derzeit öffnen wir keine neuen Kapitel", sagte Hahn. Man solle sich auf die Ziele konzentrieren, bei denen man Konkretes erreichen könne. Dazu zähle zum Beispiel die Zollunion. Hahn hatte jüngst vorgeschlagen, die Verhandlungen über eine Mitgliedschaft der Türkei ganz aufzugeben.
Cavusoglu sprach von "Doppelmoral und Scheinheiligkeit". Das habe die EU in den Augen der türkischen Bevölkerung zum unzuverlässigen Partner gemacht.