Wolfgang Fischer: „Es ist bizarr, wie wir mit Menschen in Not umgehen“

Dschungel. Wolfgang Fischer lässt seine Filmfigur gen paradiesische Inselwälder segeln.
Dschungel. Wolfgang Fischer lässt seine Filmfigur gen paradiesische Inselwälder segeln.(c) die Presse (Carolina Frank)
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Wolfgang Fischer zeigt im Film „Styx“ das moralische Dilemma des Westens. Statt eines erhofften Inselparadieses trifft seine Hauptfigur auf Flüchtende auf einem sinkenden Schiff.

Fern vom Festland, mitten im Atlantik, liegt Ascension Island. Charles Darwin ließ hier einst mit Gewächsen aus aller Welt einen künstlichen Dschungel anlegen. Für Rieke, Notärztin aus Deutschland, ist diese reiche Flora ein erträumter Garten Eden. Allein und entschlossen, ihr Ziel zu erreichen, macht sie sich mit einem Segelboot von Gibraltar aus auf die Reise. Affen turnen am Hafen, die Welt scheint ein wenig aus den Fugen geraten. Rieke genießt die Einsamkeit am Wasser. Nach einem Sturm entdeckt sie vor Mauretanien jedoch ein havariertes Schiff, das ihr Vorhaben durchkreuzt. Es ist mit Flüchtlingen überladen, die auch ein Paradies vor Augen hatten – Europa. Nun erreichen sie es nicht mehr: Ihr Kutter sinkt. Rieke versucht zu helfen. Doch wie soll sie handeln, insbesondere, wenn die Seenotrettung untersagt ist?

Die Rolle der Schauspielerin Susanne Wolff, die fast allein die Handlung des Films „Styx" trägt, zeigt das moralische Dilemma aller Europäer auf: Sich raushalten geht nicht, alle zu retten aber auch nicht – einen einfachen Ausweg kann es nicht geben. „Wer sind wir, wer müssen wir sein, wer wollen wir sein?", erzählt Regisseur Wolfgang Fischer von den existenziellen Fragen, die er und seine Koautorin Ika Künzel sich beim Drehbuchschreiben gestellt haben. „Dazu kam der Wunsch, einen Film über Migration zu machen, weil uns dieses Thema auch die nächsten Jahrzehnte beschäftigen wird", ergänzt der gebürtige Wiener und Wahlberliner. Neun Jahre haben er und sein Team an „Styx" gearbeitet. Eine lange Zeit, in der sich an der Krise auf dem Meer (und auch in Kontinentalafrika) erschreckend wenig geändert hat, meint er. „Es ist schon bizarr, wie wir, gerade in Österreich, mit Menschen in Not umgehen. Man stigmatisiert die Schwächsten. Einfach die Tür zumachen, das Sterben nicht sehen wollen und verdrängen. Zu glauben, damit sei das Problem gelöst, ist eine Art, die ich nicht nachvollziehen kann", entrüstet er sich. „Natürlich sind wir alle verantwortlich."

Casting im Slum. Für die professionelle Helferin Rieke gilt neben den Menschenrechten auch der hippokratische Eid. Am Beginn der Handlung verfolgt man einen ihrer Arzteinsätze, einen Autounfall, die Rettungskette funktioniert ausgezeichnet. Anders läuft es später auf See – Kapitäne halten sich raus, um den Job nicht zu verlieren, die angefunkte Küstenwache kommt nicht. Fischer seien derlei Kon­traste im Film wichtig – weil er nicht bloß einen Spielfilm machen, sondern auch die Haltung zeigen wollte, die dahintersteckt: „Es soll ein Brückenschlag zwischen Europa und Afrika sein."

In der Mitte des Films kommt zu Riekes westlicher Perspektive eine weitere, wenn sie einen der Ertrinkenden aus den Wellen fischt. Kingsley, so heißt der Gerettete, ist kein klischeehaft armer kleiner afrikanischer Bub, sondern eine Persönlichkeit mit eigenem Willen. „Wie findet man jemanden für die Rolle, der sie nicht einfach nachspielt? Es musste jemand sein, der Afrika gut kennt", schildert Fischer die Überlegungen dahinter. Zusammen mit Darstellerin Susanne Wolff besuchte er Kenias größten Slum Kibera in Nairobi, wo der Verein „One Fine Day" Zugang zu Unterricht in künstlerischen Disziplinen anbietet. Beim Casting in einer Schule engagierten sie den jungen Gedion Odour Wekesa. „lch bin ihm dankbar für seinen Mut, mitzumachen. Er war noch nie am Meer, konnte nicht schwimmen. Aber er hatte den Willen, diese Geschichte zu erzählen", so der Regisseur.

Auch Fischer selbst musste für das Projekt Neues lernen: Segeln. „Ich habe mit einem Kurs am Wannsee angefangen, um ein Gefühl dafür zu bekommen", erinnert er sich. Dann habe er viel trainiert; wie Wolff, die das offene Meer und richtige Verhalten ebenso kennenlernen musste. Immerhin wollte Fischer das Abenteuer nicht mit Spezialeffekten simulieren, sondern vor Ort drehen. „Mich hat fasziniert, was es bedeutet, wenn man sich in diese Welt begibt. Wie kann man sie beherrschen? Wir mussten auf allen Ebenen Profis werden, auch technisch." Erschwerend kam hinzu, dass kaum Erfahrungswerte vorhanden waren, erzählt er. „Niemand geht mit einem Spielfilm auf offene See, weil die Begebenheiten nicht kalkulierbar sind." Letztlich drehte man zu elft rund zwei Monate lang auf der kleinen Jacht, „ohne Rückzugsmöglichkeit, das Team hing über die Reling, unter Deck wurden viele seekrank". Strapaziöse Bedingungen, die aber zweckdienlich waren: „Wir wollten in die Realität eintauchen. Nichts vorgaukeln." Für diesen Anspruch führte man auch Gespräche mit NGOs und Interviews mit Beteiligten. Besetzte die Schiffbrüchigen mit ehemaligen Flüchtlingen, engagierte keine Statisten, sondern filmte Menschen in echten Berufen – Feuerwehrleute, Soldaten: „Der Film beruht auf Fakten."

Miterleben. Selbst bei der fiktiven Figur Rieke sitzt jeder Handgriff routiniert. Um diese nüchternen Griffe, in langen Einstellungen gefilmt, geht es ganz wesentlich. „Wir wollten den Plot nicht mit Handlungssträngen zumüllen, sondern ihr beim Denken zusehen", erklärt der Regisseur: „Damit man den Zuschauer in die gleiche Situation bringt: ,Was würde denn ich tun?‘" Dass es einen Unterschied macht, die Situation in Gedanken durchzuspielen oder selbst zu erleben, weiß Fischer. Auch mit Seglern, denen Ähnliches passierte, hat er sich unterhalten. Es sei schwierig – eine Lösung des Dilemmas aber möglich, glaubt er. Auf dem Weg dorthin könne ein Film zur politischen Debatte beisteuern, aus der Wohlfühlzone reißen, zu Gedanken, Dialog und Empathie anregen.

„Ein emotionales Erlebnis mit dem Publikum teilen": Fischers Wunsch, dem er bei „Styx" folgt, gründet womöglich auch im Interesse an Psychologie (die er neben Malerei und Film studierte), das sich zu einem Faible für griechische Mythologie gesellt hat: „Der Totenfluss Styx trennt ja das Reich der Lebenden von den Toten. Das fand ich als Allegorie passend, um die Parallelwelt aufzuzeigen, in der wir leben. Durch den Link zur Vergangenheit wird die Geschichte auch allgemeingültig."

Tipp

„Styx".Spielfilm von Wolfgang Fischer mit Susanne Wolff in der Hauptrolle, Kinostart am 23.  11.

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