Seit Längerem schon begleitet das Museum Österreichs populärsten Künstler, Erwin Wurm, in seinem zeichnerischen Werk. Was ihm schon wieder nicht gerecht wird.
Man muss dieser Ausstellung voranschicken: Erwin Wurm ist nicht als Zeichner zu diesem „Ausnahmekünstler“ geworden, den ihn die Albertina im einzigen Wandtext zu seiner neuen Ausstellung im Appendix der Contemporary-Sammlung nennt – was auch immer das sein soll in einer Branche, die sich nur durch ständige Annahme der Ausnahme überhaupt versteht. Berühmt wurde Wurm durch zwei Werkgruppen: die fetten Skulpturen wie Häuser, Autos, Menschen. Und die „One Minute Sculptures“, beides der Performance verpflichtete Ausweitungen der Skulpturkomfortzone, beides verpflichtet der Vorführung der Lächerlichkeit unseres Daseins. Dafür lieben ihn die Menschen, für dieses Lachen im Museum, das ihnen eigentlich im obligaten Hals stecken sollte wie eine seiner Essiggurken, die er in den vergangenen Jahren gern an gewichtigen öffentlichen Orten wie im Salzburger Festspielbezirk aufstellt. Hämische Diätempfehlungen für die Gewichtigkeiten, die man so ansammelt, als Stadt, als soziales Wesen.
Im Auftakt zur Ausstellung hat man daher auch zwei dieser Signature-Skulpturen aufgestellt, ein fettes Auto und einen fetten Mann, hier posieren die Besucher, hier sieht man ein Strahlen über die Gesichter gehen, schön ist das. Hier sind auch die ersten Zeichnungsarrangements zu finden, die Kuratorin Antonia Hörschelmann aus einem Konvolut von 400 thematisch zusammengestellt hat. Nicht zufällig natürlich – eine dieser Grafikwolken kreist um das „Asthma“, wie man Wurms knappen Einschreibungen entnimmt, überall qualmende Zigaretten an schnell umrissenen Männerfiguren, die man erkennt oder auch nicht. Daneben der riesige qualmende Divenmund von Pop-Art-Künstler Tom Wesselmann aus der Albertina-Sammlung. Das fette Auto Wurms steht neben Andy Warhols Rennauto-Siebdrucken. Interessante Einschreibung – Wurm als Wiener Post-Post-Pop-Art-Version, das hat durchaus etwas. Ätzende Ironie holt die Pop-Art hier durchaus ins Heute.
Das tagebuchartige Skizzengeschäft
Dann kommen die Zeichnungen, in geballter Form. 300 in einem Schlauch. Bleistift, Buntstift, Filzstift, Aquarell, alle sehr schnell hingeworfen. Es ist ein Einblick ins tagebuchartige Skizzengeschäft dieses Künstlers. Voll Porträts ist es, die Gesichter dominieren, die Körper sind eher zum Teil verrenktes Beiwerk, wie einige der Verzerrungen stark an Maria Lassnigs Körpergefühlssprache erinnern – das eigene Gesicht, das seiner Frau und einiger, anscheinend vorwiegend männlicher Begegnungen interessieren ihn aber vorwiegend. Durchaus legitim. Das meiste davon aber muss man nicht gesehen haben, um zu verstehen, was das skulpturale Hauptwerk so faszinierend macht. Lässt man sich dennoch auf die vielen Blätter ein, bleibt man am ehesten bei einigen Aquarellen hängen, bei denen das Flüchtige zu einer malerisch-karikierenden Qualität findet, etwa beim Porträt der Fotografin Elina Brotherus. Eine Qualität haben auch die lapidaren Illustrationen, die Wurm seinen „One Minute Sculptures“ als Anleitung mitgibt, sie haben starken Wiedererkennungswert, kommen hier aber nur am Rande vor. Die als „OMS“ abgekürzten absurden Körperhaltungen, die Besucher mit bzw. ohne Requisiten einnehmen sollen, ziehen sich dennoch durch die nach dem Bahamas-Luxushotel Peace & Plenty benannte Schau.
Einmal zeichnet er etwa ein Skelett, in einer „One-Minute-Sculpture“ erstarrt: „One Minute forever“ schrieb Wurm darüber. Ein anderes Bild zeigt ihn, wie ihm eine Essiggurke zu den Ohren rauskommt. Absoluter Höhepunkte, wenn der Künstler für die Karikatur seiner selbst sorgt. Den Werkgruppen, die ihn so berühmt machten, wird er nicht mehr entkommen. Schon gar nicht als Zeichner. Aber das ist auch voll okay so.
„Peace & Plenty“, bis 10. 2., tägl., 10–18h, Mi. & Fr. bis 21h.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2018)