Und plötzlich gibt es eine Zukunft

Was soll Zukunft sein? Die 22-jährige Silvia mit ihren Kindern Valentina, Biser und Jesus in ihrem kleinen Haus in der Romasiedlung Zaharna Fabrika.
Was soll Zukunft sein? Die 22-jährige Silvia mit ihren Kindern Valentina, Biser und Jesus in ihrem kleinen Haus in der Romasiedlung Zaharna Fabrika.(c) Erich Kocina
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In den Romasiedlungen von Sofia ist Perspektive ein abstrakter Begriff, mit dem viele Bewohner nicht allzu viel anfangen können. Die Hilfsorganisation Concordia versucht, Kindern ein Ausbrechen aus dem Elend zu ermöglichen.

Sofia. „Ich verstehe die Frage nicht.“ Silvia schaut ratlos, weiß nicht so recht, was sie antworten soll. Zu abstrakt ist der 22-Jährigen ein Begriff in der Frage: Zukunft. Wie sie sich ihre vorstellt, und die ihrer drei Kinder, nämlich. Der einjährige Biser und die dreijährige Valentina sitzen neben ihr, auf ihrem Schoß der fünfjährige Jesus – er ist taub und hat Epilepsie. Das Bett, auf dem sie sitzen, hat Ziegel statt Bettpfosten. Und um in das kleine Haus zu kommen, muss man über eine Fläche gehen, die wie eine Müllhalde wirkt. Zwischen leeren Plastikflaschen, einem alten Schuh und ein paar Holztrümmern spielen Kinder auf dem Erdboden. Zukunft? Was soll das sein? Dieser Begriff spielt hier offenbar keine Rolle.

Hier, das ist die Roma Siedlung im Westen Sofias, Zaharna Fabrika heißt das Viertel, benannt nach der nahen Zuckerfabrik, die heute längst leer steht und vor sich hin bröckelt. Es ist eine von mehreren Siedlungen in der bulgarischen Hauptstadt, die man hier Mahala nennt. Illegal errichtet und über mehrere Generationen hinweg von Romafamilien bewohnt. Die einen wohnen in kleinen gemauerten Hütten, andere haben nur einen Bretterverschlag. Silvia ist hier aufgewachsen, nun lebt sie mit den Kindern in dem kleinen Haus mit einem Zimmer. Und mit ihrem Mann. Er arbeite am Bau, erzählt sie, „und er trinkt leider oft zu viel“.

Der Weg aus dem Ghetto

Es ist genau zehn Jahre her, dass Jesuitenpater Markus Inama in Sofia seine Arbeit begonnen hat. Für die Hilfsorganisation Concordia baute er in einer alten Mühle ein Sozialzentrum auf – das Sveti Konstantin. Zunächst, um Menschen zu versorgen, die auf der Straße leben, aber auch für Kinder in Krisensituationen. Die einen bekamen die Möglichkeit, im Zentrum zu duschen, etwas Warmes zu essen und sich mit Kleidung zu versorgen. Die anderen fanden hier ein Quartier auch für längere Zeit, dazu Begleitung und Förderung.

Zehn Jahre ist das her. Die Ghettos für Roma, die gibt es noch immer, dieses Problem lässt sich von einer einzelnen Organisation nicht lösen. Doch zumindest für einige, die dort leben, kann Concordia so etwas wie eine Perspektive schaffen.

„Bei den Erwachsenen kann man nicht viel tun“, sagt Inama. Ein bisschen Unterstützung mit Nahrung und Gewand, vielleicht auch Hilfe bei bürokratischen Wegen. Aber sie aus dem Elend befreien, dafür ist es meist zu spät. „Aber bei den Kindern, das habe ich in diesen zehn Jahren gelernt, da kann man noch etwas machen.“ Sie etwa zeitweise aus ihrem Umfeld herausholen, weg vom Elend, von Alkohol und überforderten Eltern. Etwa in eine eigene Wohngruppe in Bozhuriste, einem Vorort von Sofia. Hier kann Concordia in einem dreistöckigen Haus bis zu zwölf Kinder unterbringen. Mädchen und Buben zwischen vier und 14 Jahren, viele davon mit schweren emotionalen Verletzungen.

Boris, zum Beispiel. Seine Mutter kümmerte sich nicht um ihn, der 13-Jährige lebte bei seiner Großmutter in Sofia. Ein ängstlicher Bub, der sich mit allem schwertat, in die Sonderschule ging und auch Bettnässer war. Als er nach Bozhuriste kam, besserte sich sein emotionaler Zustand. Mittlerweile besucht er sogar schon eine reguläre Schule.

Vorbild Lionel Messi

Auch Georgi hat mit der Hilfe von Concordia den Sprung geschafft. Mit sieben Jahren kam er ins Sveti Konstantin, wuchs hier mit einer Schwester und einem Bruder auf. Wo seine Mutter ist, weiß man nicht. Eines Tages war sie einfach nicht mehr da, ließ ihre Kinder bei einer Nachbarin in der Romasiedlung Orlandovci zurück. Bald fing Georgi bei Concordia mit dem Fußballspielen an. Nun steht er auf dem Trainingsplatz und schwärmt vom Spiel. Der Concordia-Fußballklub bietet Jugendlichen die Chance, sich sportlich zu betätigen. Mit einem eigenen Trainer. Und das ohne Kosten, damit niemand an der finanziellen Hürde scheitert.

Mittlerweile hat das 2015 gegründete Concordia-Team zwei Bubenmannschaften in unterschiedlichen Altersgruppen. Seit heuer trainieren auch Mädchen mit. Zuletzt gab es in Sofia sogar eine Weltmeisterschaft von Mannschaften mit Kindern aus Risikogruppen – gewonnen hat das Team dort zwar nicht, doch am Ende durfte zumindest Georgi feiern, dass er Torschützenkönig des Turniers wurde. Irgendwann, meint der 16-Jährige, würde er gern Profi werden. So wie sein großes Vorbild, Lionel Messi. Und da ist er auf einmal, der Gedanke, wie es im Leben weitergehen soll. Eine Perspektive. Eine Zukunft.

"Die Presse" hilft

Das Sozialprojekt "Concordia" hilft Menschen in Bulgarien, Rumänien und der Republik Moldau. "Die Presse" hat ein Spendenkonto eingerichtet:

Raiffeisenbank NÖ-Wien
IBAN: AT66 3200 0000 0703 4499
KW: "Die Presse Weihnachtsaktion"

Spenden an Concordia sind steuerlich absetzbar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2018)


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