Deutschland

Geführte Wolfs-Expedition in der Lüneburger Heide

Schön wär's – aber ein Wolf lässt sich in der freien Wildbahn nicht blicken.
Schön wär's – aber ein Wolf lässt sich in der freien Wildbahn nicht blicken.(c) imago/Martin Wagner (Martin Wagner)
  • Drucken

In Niedersachsen sammeln Bürger-Wissenschaftler Daten über das Raubtier. Unter der Leitung des Wolfsberaters suchen Teilnehmer nach Spuren des scheuen Genossen im Wald.

Wolfsberater Peter Schütte hat sozusagen Witterung aufgenommen. Am Tag zuvor hat Polizeihauptkommissar Thomas Suszek um sechs Uhr zwanzig zwischen Bellen und Bothel zwei wolfsähnliche Tiere gesichtet – und jetzt fragt er den Beamten aus: Welche Farbe? Welches Tempo? Was für ein Schwanz? Am Ende hat Schütte keine Zweifel mehr: Es waren Wölfe. Dies ist also, was man im Berufsleben sowohl eines Polizisten wie eines Wolfsberaters wohl eine heiße Spur nennt.

Somit heißt es: das Gelände absuchen. Das Dreierteam teilt sich. Tim aus London und Toni aus Lübeck nehmen sich einen südlichen Abschnitt vor, Peter wird allein im Norden unterwegs sein. Letzte Vorbereitungen werden getroffen: GPS-Ortung einschalten, Funkgeräte überprüfen, Formblätter ausfüllen. Und vor allem nicht vergessen, das Plastikkästchen für Losung mit den Einmalhandschuhen und dem Alkoholfläschchen in den Rucksack packen. Denn frische Losung wäre der Jackpot. Aus ihr ließe sich nicht nur der Speiseplan des Wolfes ablesen, sondern per DNA-Test auch ermitteln, zu welchem der zehn oder elf Rudel in Niedersachsen das Tier gehört.

Die anschließende Suche gestaltet sich schwieriger als erwartet. Die Waldwege, auf denen Wölfe wie Menschen sich am liebsten bewegen, sind erst gekiest, dann grasüberwachsen. Spuren sind da kaum auszumachen. Vier, fünf Stunden trotten die drei dort entlang, die Augen konzentriert auf den Boden und die Seitenstreifen gerichtet. Ohne Ergebnis.

Tim und Toni kennen das schon. Es ist der fünfte Tag ihrer Woche als „Bürger-Wissenschaftler“, und die Arbeit draußen in der Natur, haben sie gelernt, ist ein eher mühsames Geschäft. Zwölf Frauen und Männer im Alter von 20 bis 50 Jahren aus England, Australien, den USA und Deutschland treffen sich für eine Woche in der Lüneburger Heide, um etwas über wissenschaftliche Feldforschung zu lernen und mitzuhelfen, genauere Daten über die Wölfe zu sammeln. Denn die sind auch in Niedersachsen auf dem Vormarsch. 150 Exemplare und mehr werden es gegen Ende des Jahres sein, schätzen die Biologen. Zuständig für das Erfassen der Raubtiere sind die Jäger und 120 ehrenamtliche Wolfsberater. Entdecken sie eine Spur, melden sie sie an das staatliche Wolfsbüro in Hannover. Eine systematische Suche gibt es nicht. Diese Lücke wollen die Bürgerwissenschaftler schließen.

Knochen und Spuren

Die Motivation der Gäste ist so unterschiedlich wie die Berufe, in denen sie arbeiten. Die Bankerin aus London möchte Tieren eine Stimme geben, der Controller aus Stuttgart denkt über einen Berufswechsel ins Naturwissenschaftliche nach, die Psychotherapeutin aus Texas will wissen, wie biologische Forschung funktioniert. Zwei Tage lang wurden sie vom Veranstalter Biosphere Expeditions vorbereitet: Sie lernten ein GPS zu bedienen, Funde, wie etwa Knochen, genau zu vermessen, die größeren Wolfs- von den kleineren Hundespuren zu unterscheiden. Seitdem sind sie jeden Tag in der Lüneburger Heide unterwegs. Manchmal wechseln sie die Speicherkarten in Kamerafallen, meistens aber suchen sie Wege ab, den Kopf streng zu Boden gesenkt, und gehen der edelsten Aufgabe des Wolfsforschers nach: „Find a lot of shit!“, fasst Abi aus London zusammen. „Findet Losung!“ Einen Wolf in freier Wildbahn zu sehen, daran glaubt angeblich keiner der Teilnehmer. Klammheimlich hoffte jeder doch darauf.

Abends werden die Ergebnisse der Teams zusammengetragen und diskutiert. Karten werden an die Wand projiziert, Fotos analysiert, Fundorte mit Nadeln markiert. Ein Behälter mit bestialisch stinkender Wolfslosung – nicht unbedingt das, was jedermann kurz vor dem Abendessen auf dem Tisch haben möchte – ruft helles Entzücken hervor: Endlich DNA! Die Kriterien, welche Entdeckungen tatsächlich an das Wolfsbüro in Hannover gemeldet werden und dort Eingang in die offizielle Zählung finden, sind streng. Letztendlich entscheidet Experte Peter Schütte.

Grundsatzdiskussionen, ob die Rückkehr des Wolfes überhaupt wünschenswert ist, gibt es nicht. Er ist geschützt, basta. Immerhin entgeht den Forschern nicht, dass ihr Einsatz in der Presse und von der Politik kontrovers diskutiert wird.

Und wenn Bettina Prelle-van-Hemer, resolute Bäuerin in Barbostel, erzählt, wie im September vor zwei und vor drei Jahren Wölfe ihr Vieh jagten und insgesamt fünf Kälber an den Bissen eingingen, ahnen sie, dass das Auftauchen der Raubtiere nicht überall die gleiche Begeisterung auslöst wie in ihren Kreisen. Umso wichtiger sind exakte Daten – darin sind sich beide Seiten einig.

Am Ende der vier Wochen beurteilt auch der Wolfsberater die Arbeit der Hobbyforscher höchst positiv. 1000 Kilometer Waldwege sind die insgesamt 48 Freiwilligen im Verlauf von vier Wochen abgegangen. Sie haben mehrere verlässliche Spuren entdeckt und vor allem auch einige Portionen Losung gefunden. Wie schrieb doch ein Kollege süffisant über das Experiment: „Die Abenteurer scheinen zu ahnen: Mehr als seinen Kot werden sie vom wilden Wolf nicht sehen.“ Genau. Aber der Schiss des Wolfes ist nun mal das Gold des Forschers.

WALD UND WOLF

Wissenschaftstouren dauern sieben Tage, mit Übernachtung im Nabu-Gut Sunder, Verpflegung und wissenschaftlicher Begleitung. Mit ihrem Beitrag finanzieren die Teilnehmer das Projekt.

Veranstalter: Biosphere Expeditions in Höchberg ist eine eingetragene gemeinnützige Naturschutzorganisation seit 1999. Sie veranstaltet Touren zu verschiedenen Naturschutzprojekten in aller Welt: Schneeleoparden in Kirgisistan, Wale vor den Azoren, Elefanten in Thailand. Am Ende jedes Jahres erscheint ein Report über die Ergebnisse. biosphere-expeditions.org

Wölfe: der-wolf-in-niedersachsen.de, woelfeindeutschland.de, nabu.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.