Der Westen macht sich im Jemen mitschuldig

85.000 Kinder sind seit April 2015 im Jemen verhungert oder an Seuchen gestorben.
85.000 Kinder sind seit April 2015 im Jemen verhungert oder an Seuchen gestorben.APA/AFP/-
  • Drucken

85.000 Kinder sind seit April 2015 im Jemen verhungert oder an Seuchen gestorben. Doch Frankreich, die USA und Großbritannien befeuern den Bürgerkrieg weiter mit Waffenlieferungen an die Saudis.

Dreieinhalb Jahre lang konnte Saudiarabiens Kronprinz, Mohammed bin Salman, in seinem Einstiegsjob als abenteuerlustiger Verteidigungsminister im benachbarten Jemen fuhrwerken, wie er wollte. Die Welt scherte sich nicht um den Krieg im Armenhaus, den die von den Saudis angeführte arabische Staatenkoalition mit westlicher Unterstützung gegen die schiitischen Houthi-Rebellen führt, um Irans Einfluss einzudämmen. Fast alle schauten weg. Erst die schaurige Ermordung des Dissidenten Jamal Kashoggi im Istanbuler Konsulat des Königreichs scheint Interesse zu wecken, was der 33-jährige De-facto-Regent sonst noch treibt inner- und außerhalb seines Landes. Was im Jemen nahezu unbemerkt von der Weltöffentlichkeit vor sich geht, ist ein Skandal.

Dürre Statistiken wecken keine Emotionen, aber folgende Horrorzahlen müssten auch Zyniker rot vor Scham und Zorn werden lassen: 14 Millionen Jemeniten sind auf Nahrungshilfe angewiesen, fast die Hälfte der Bevölkerung. Von zwei Millionen unterernährten Kindern befinden sich 400.000 in kritischem Zustand. 85.000 Kinder sind seit April 2015 verhungert oder an Seuchen wie der Cholera gestorben, und das ist noch vorsichtig geschätzt.

Lebensader. Mark Lowcock, der UN-Koordinator für humanitäre Hilfe, brachte die Dramatik neulich vor dem Sicherheitsrat auf den Punkt: „Der Jemen steht unmittelbar vor einer Hungersnot von Ausmaßen, wie sie kein Hilfsexperte in seinem Leben je gesehen hat.“ Der schrille Superlativ, der in der Helferszene zum guten Ton gehört, war in diesem Fall angemessen. Denn als Lowcock sprach, bahnte sich eine Schlacht um die Lebensader des Jemen an, den Hafen von Hodeidah, über den zwei Drittel der Lebensmittel und Hilfsgüter ins Land gebracht werden.

Inzwischen flauten die Kämpfe ab. Paradoxerweise öffnete der Kashoggi-Mord ein Verhandlungsfenster. Die US-Regierung von Präsident Trump, der weiter eisern zum saudischen Kronprinzen hält, nützte die Bredouille ihrer Verbündeten, um sie zu Friedensgesprächen zu drängen. Noch heuer soll in Schweden nach einem Ausweg aus dem Jemen-Krieg gesucht werden. Es ist ein Versuch, mehr nicht – angetrieben von einem Helden der Diplomatie, dem unermüdlichen UN-Vermittler Martin Griffiths.

Europa könnte einen Beitrag leisten – und ein Waffenembargo über Saudiarabien verhängen. Das regte Österreichs Außenministerin, Karin Kneissl, zu Recht an. Leider fand die EU keine gemeinsame Linie. Deutschland setzte Rüstungslieferungen wenigstens für ein paar Monate aus. Doch Frankreich, dessen Präsident Macron sich sonst gern in moralische Überlegenheitsposen wirft, war nicht einmal dazu bereit, Spanien auch nicht – ebenso wenig Großbritannien und die USA. Die Aussicht auf Geschäfte mit Riad war verlockender. Anstatt auf Saudiarabien und Iran einzuwirken, ihre Stellvertreterkriege in Nahost beizulegen, macht sich der Westen am Massensterben im Jemen mitschuldig. Das ist eine Schande, auch wenn sie Tausend Mal von der täglichen Kakofonie künstlicher Dauerempörung über Nebensächliches übertönt wird.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.