Die SPÖ wählt den "ramponierten" Andreas Schieder zum Spitzenkandidaten für die EU-Wahl und gab sich ein neues Statut - aber nicht ohne Murren und Gegenstimmen.
Wels. „Wir sind etwas ramponiert“, lautete die überraschende Analyse von Evelyn Regner. Das liege daran, wie die SPÖ-Listenzweite für die EU-Wahl sagte, dass „wir so viel zu feiern haben“. Ganz so war es allerdings nicht. Regner selbst war verkühlt und sprach mit angeschlagener Stimme. EU-Spitzenkandidat Andreas Schieder trat am zweiten Tag des SPÖ-Parteitags in der Welser Messehalle mit einem blauen Auge vor die Genossen. Er sei schneller als die Tür gewesen. „Aber Schminke ist das halbe Leben.“
Das Ergebnis, mit dem die SPÖ-Kandidatenliste für die EU-Wahl am 26. Mai 2019 am Sonntag bestätigt wurde, überschminkte wiederum die innerparteilichen Diskussionen, die es darüber zuletzt gegeben hatte. Die von Schieder und Regner angeführte Kandidatenliste wurde mit 96,1 Prozent bestätigt. Damit schienen sowohl die Turbulenzen um die geplante und dann doch abgesagte Spitzenkandidatur Christian Kerns als auch auch der Zwist um den Listenplatz von Luca Kaiser, den Sohn des Kärntner Landeshauptmanns, Peter Kaiser, vergessen. Fest steht nun, dass fast die komplette derzeitige SPÖ-Delegation ausgetauscht wird. Nur Regner, die derzeitige Leiterin der Delegation, darf wieder nach Brüssel.
Dort will die SPÖ für mehr Gerechtigkeit sorgen – „damit internationale Konzerne so Steuern zahlen, wie es jeder Würstelstand jetzt schon tut“. Schieder hielt bei seiner Rede vor den rund 500 Delegierten ein Stück Stacheldraht des Eisernen Vorhangs in die Höhe. Als dieser fiel, habe es einen europäischen Traum gegeben. „Aber was ist nur heute aus dem Traum geworden?“, fragte er und gab gleich selbst die Antwort. Die Ärmeren würden ärmer gemacht und die Reichen reicher. Außerdem würden Grenzen hochgezogen und die Gesellschaft gespalten. Es gebe einen „wachsenden Nationalismus der Salvinis, Orbáns, Le Pens, Straches und Kurz, die das gemeinsame Europa spalten“. Dagegen würde sich die SPÖ stellen.
Eine „Manöverkritik“ der Parteijugend
Es müsse sich nicht nur die EU, sondern auch die SPÖ ändern: „Wir haben uns viel zu lang mit uns selbst beschäftigt“, so Schieder. Wenn die SPÖ so weitermache, dann würden viele Menschen sie künftig nicht mehr wählen. Nachsatz: „Und wenn wir ehrlich sind: zu Recht.“ Für den EU-Wahlkampf brauche es jedenfalls „keine Spindoktoren, sondern euch“, rief er den Delegierten zu.
Auch wenn die parteiinternen Probleme der vergangenen Wochen und Monate auf dem SPÖ-Parteitag in der Welser Messehalle kaschiert oder gar gelöst werden konnten, entkam die Partei am Sonntag einem tatsächlichen blauen Auge gerade noch. Bei der Reform des Parteistatuts gab es Schwierigkeiten. Eigentlich wollte Ex-Parteichef Christian Kern den Mitgliedern mehr Mitspracherecht geben und erarbeitete eine Statutenreform. In einer groß angelegten und laut beworbenen Mitgliederbefragung ließ die Partei im Sommer über dieses Vorhaben abstimmen. Von den 38.000 Teilnehmern haben sich damals mehr als 70 Prozent dafür ausgesprochen. Dennoch wurde dieses Vorhaben von der neuen Parteiführung rund um Pamela Rendi-Wagner, die bereits am Samstag mit großer Zustimmung zur neuen Vorsitzenden gewählt wurde, abgeblasen.
Das sorgte auf dem Parteitag für erste getrübte Töne. Die Jungen übten „Manöverkritik“. Der Basis über die Medien auszurichten, die Statutenreform abzublasen, „finde ich wirklich unfassbar“, sagte ein Delegierter. Generell sei die Zurücknahme großer Teile der Statutenreform „nicht gescheit“. Die Parteijugend wollte deshalb auf die von Kern geplante Statutenreform zurückkehren. Besonders missfielen ihnen zwei Dinge: Erstens, dass Parteitage in Zukunft nur noch alle drei Jahre, statt alle zwei stattfinden werden. Und zweitens, dass Koalitionsabkommen nun doch nicht automatisch den Mitgliedern vorgelegt werden sollen. Die Genossen, so will es die Parteiführung, sollen nur dann mitreden dürfen, wenn das die Mehrheit des Parteivorstands will.
Die Jugend versuchte sich durch einen Abänderungsantrag Mitspracherecht zu sichern. Es gingen viele Zustimmungskärtchen der Delegierten nach oben. Ob es sich um eine Mehrheit handelt, war mit freiem Auge nur schwer erkennbar. Dennoch wollte die Kommission zuerst die Stimmen nicht einzeln auszählen. Das sorgte für lautstarken Protest. Schlussendlich scheiterte der Antrag der Jugend – der sogar von Ex-Bundesgeschäftsführer Max Lercher unterstützt wurde – mit 162 zu 202 Stimmen knapp. Das Statut wurde nach Geschmack der neuen Parteiführung beschlossen.
Auch der Wertekompass, der als Basis für künftige Koalitionsverhandlungen dienen soll, wurde nicht ganz ohne Murren und mit 21 Gegenstimmen angenommen. Beim von den Landesparteichefs Peter Kaiser und Hans Peter Doskozil ausgearbeiteten Migrationspapier gab es eine gute Handvoll Enthaltungen. Beschlossen wurde es trotzdem.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2018)