Der ukrainische Präsident wirft Russland einen Truppenaufmarsch an der Grenze vor. In Teilen des Landes tritt das Kriegsrecht in Kraft. US-Präsident Trump kritisiert Moskau.
Kiew/Moskau/Washington. Die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine nehmen weiter zu. Die Führung in der ukrainischen Hauptstadt Kiew warnt, dass Moskau an der Grenze Truppen zusammenziehe. Zugleich ist in der Ukraine das Kriegsrecht in Kraft getreten. Das amtliche Parlamentsblatt in Kiew veröffentlichte am Mittwoch den entsprechenden Parlamentsbeschluss zusammen mit einem Erlass des Präsidenten. Das Kriegsrecht soll 30 Tage in den Grenz- und Küstenregionen gelten. Für diese Zeit erhält das Militär Sondervollmachten.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hatte zuvor in einem TV-Interview Alarm geschlagen. Er malte dabei die Gefahr eines russischen Einmarsches an die Wand: „Dem Land droht ein groß angelegter Krieg mit der Russischen Föderation.“ Am Mittwoch besuchte Poroschenko dann, in Tarnuniform gekleidet, ukrainische Soldaten.
Und auch Moskau setzt auf militärische Symbolik. Der Wehrbezirk Süd der russischen Streitkräfte kündigte an, die Luftabwehr auf der 2014 annektierten Halbinsel Krim auszubauen: Russland werde eine weitere Einheit des modernen Luftabwehrsystems S-400 auf der Krim stationieren. Mit einer Reichweite von 400 Kilometern erfasse die S-400 das gesamte Schwarze Meer und große Teile der Ukraine, sagte der ehemalige Kommandant des russischen Schwarzmeerflotte, Wladimir Komojedow.
Auslöser der jüngsten Spannungen war ein Zwischenfall in der Meerenge von Kertsch. Russland verwehrte drei ukrainischen Marinebooten die Einfahrt ins Asowsche Meer. Russische Grenzschutzboote beschossen die ukrainischen Schiffe und verletzten mehrere Matrosen. Dann beschlagnahmten sie die Boote und nahmen 24 Matrosen fest.
Trump spricht von Aggression
Wegen der neuen Krise stellte US-Präsident Donald Trump ein geplantes Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin Rande des G-20-Gipfels in Argentinien in Frage. In einem Gespräch mit der „Washington Post“ übte der US-Präsident deutliche Kritik am Verhalten Russlands.
„Ich mag diese Aggression nicht“, sagte Trump. Er warte nun auf einen Bericht seines Nationalen Sicherheitsteams zur Ukrainekrise. Der werde entscheidend für die weitere Vorgangsweise sein.
Russlands Präsident Putin stellte klar, dass er weiterhin von einem Treffen mit Trump ausgehe. Er wolle dabei mit dem US-Präsidenten über Handelshemmnisse diskutieren, sagte Putin am Mittwoch bei einem Finanzforum in Moskau. Den Vorfall in der Meerenge von Kertsch versuchte er herunterzuspielen: Es habe sich um nichts anderes gehandelt als um einen Grenzzwischenfall. Dem ukrainischen Präsidenten warf Putin vor, „eine Provokation“ inszeniert zu haben. Damit wolle Poroschenko vor der Wahl im nächsten Jahr seine Beliebtheitswerte erhöhen. Die ukrainischen Schiffe seien illegal in russische Gewässer eingedrungen, behauptete Putin.
Drängen auf neue Sanktionen
Die Nato-Staaten forderten Russland im Konflikt mit der Ukraine noch einmal offiziell zur Zurückhaltung auf. „Es gibt keinerlei Rechtfertigung für Russlands Einsatz von militärischer Gewalt gegen ukrainische Schiffe und Marinepersonal“, hieß es in einer Erklärung des Nordatlantikrates.
Die US-Regierung drängte die EU-Staaten wegen des Zwischenfalls im Schwarzen Meer, zusätzliche Sanktionen gegen Russland in Erwägung zu ziehen. In der Europäischen Union gab man sich dazu aber zurückhaltend. Die Debatte über neue Sanktionen erscheine „etwas voreilig“, hieß es etwa aus Berlin. (APA/dpa/AFP/Reuters)
AUF EINEN BLICK
In Teilen der Ukraine ist am Mittwoch das Kriegsrecht in Kraft getreten. Damit erhält das Militär in den Grenz- und Küstenregionen größere Vollmachten. Zugleich warnte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko vor einem russischen Truppenaufmarsch. Moskau kündigte an, weitere S-400-Luftabwehrsysteme auf der Krim zu stationieren.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2018)