Warschau kulinarisch: Polska zur Potenz

(c) Anna Burghardt
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Mohn und Buchweizenhonig, Räucheraal und Sauerampfer, Muscaris und Wodka: Ein kulinarischer Streifzug durch Warschau.

Gestapelte Gläser mit Sauerampfersuppe, eingelegten Stachelbeeren und Ziegenmilchkaramellcreme, einen Stand weiter bröckeliger Frischkäse, Grünkohl und Buchweizenhonig: Jeden Mittwoch bietet der junge Warschauer Bauernmarkt in der ziegelroten Festungsanlage Forteca einen Überblick über neue und bewährte Zutaten der polnischen Küche. Hinter dem gut besuchten Markt unweit der Altstadt steckt die umtriebige Gastronomin Agnieszka Kręglicka, dank ihrer Slow-Food-Initiativen als eine Art polnische Alice Waters gehandelt. Sie und ihr Mann führen in Warschau mehrere Lokale, etwa das soeben eröffnete Opasły Tom. Auf ihrem trendigen und dennoch sehr bodenständig gebliebenen Bauernmarkt trifft man auch so manchen Warschauer Küchenchef.

Sechzehn Woiwodschaften. Etwa Robert Trzopek vom Bez Gwiazdek, der unter anderem schon im El Bulli und im Noma mitgekocht hat. Der kokettierende Name dieses nüchtern möblierten Restaurants nahe dem Museum für moderne Kunst und dem Weichselufer bedeutet „ohne Sterne". Das Menü widmet sich jeden Monat einer der sechzehn Regionen Polens, der Woiwodschaften. Zum Start serviert man kleine ausgehöhlte frittierte Erdäpfel, auf Holzkohle gebettet und mit knusprigem Kumpiak belegt. Kumpiak ist ein Schinken, dessen Herstellung nur mehr ganz wenige Fleischhauer beherrschen; der Vorbild-Betrieb Ancypo ist einer davon. In der schicken Warschauer Filiale deckt man sich am besten auch mit Schinken samt zentimeterdicker glücklicher Fettschicht ein, mit Hühnerkroketten und Würsten. Zurück zum Bez Gwiazdek: Der Erdäpfelgang repräsentiert die Woiwodschaft Podlasien an der Grenze zu Weißrussland, eine der ärmsten des großen Landes. Erdäpfel waren hier das täglich Brot. Schlesien ganz im Süden wird mit einer Version der traditionellen Karminadeln ins Best-of-Menü eingeflochten: Handgehacktes Rindfleisch wird zu einem Ziegel geformt und scharf gegrillt. Die Sauce: reduzierter, rauchiger Rote-Rüben-Saft, die Beilage: Bandnudeln aus Gelben Rüben. Das Weinregal spendiert dazu etwa einen sprudelnden Naturwein von Dom Bliskowice, einem der Vorreitergüter der überaus jungen polnischen Weinszene.

Neues Weinland. Es war um das Jahr 2010, als einzelne Winzer wieder mit der Auspflanzung von Rebstöcken begannen. In Polen wird viel mit pilzresistenten Hybridrebsorten wie Johanniter, Muscaris oder Seyval Blanc gearbeitet. Die meisten Winzer haben noch immer einen anderen Brotberuf: Der Ertrag ist bei durchschnittlich zwei Hektar pro Weingut gering, das G’riss, das unter Warschauer Foodies um die einheimischen Weine herrscht, umso größer. Beim ersten großen polnischen Weinfestival waren alle Flaschen nach ein paar Stunden ausverkauft, erzählt der Weinjournalist Maciej Nowicki. Eine gute Anlaufstelle für polnische (aber längst nicht nur diese) Weine ist das Dyletanci. Norbert Dudziński war bis vor Kurzem Head Sommelier im Dreisterner Geranium in Kopenhagen und hält nun mit 900  Positionen – ein Schwerpunkt ist das Burgund – die bestbestückte Weinkarte Polens parat. Rund 40 Weine schenkt man im Dyletanci glasweise aus. Eines der Signature-Dishes von Haubenkoch Rafał Hreczaniuk, laut Schürzenstickerei „Dyletant 1", ist Żurek, eine köstliche säuerliche Suppe aus vergorenem Roggenschrot, die hier noch mit geräuchertem Aal aufgemotzt wird.

Sanddorn, Aal und Pilze. Traditionelle Rezepte wie diesen rückt auch die Küche des Rozbrat 20 zuleibe, das in derselben Straße wie das Dyletant angesiedelt ist und unter anderem mittels Wiener-Geflecht-Stühlen mit klassischen Interieurzitaten spielt. Rote Rüben kombiniert das Rozbrat 20 mit dem für die polnische Küche so wichtigen Mohn, Forellenleber paart man mit Apfel und Holunder. Und auch im erst vor wenigen Wochen eröffneten Restaurant des Fünfsternehotels Warszawa im Zentrum bedient man sich im Fundus der polnischen Küchentraditionen. Ein historisches Hochhaus, das lange Zeit leer stand, wurde revitalisiert, im zweigeschoßigen Restaurant Warszawska die alte Betonstruktur teilweise offengelegt. Hier ist mit Dariusz Barański ein begnadeter Koch am Werk. Das Frühstück wird an den Tisch serviert und wartet etwa mit Frischkäse mit Sanddornsauce, hausgemachten Lammwürsten und täglich wechselnden Kleinstgemüsegerichten wie Kohlrabichiffon mit Haselnussmarinade auf. Den ganzen Tag serviert werden hier State-of-the-Art-Bistrogerichte: Aalfilets, die, mit Minzcreme bestrichen, zu einer Schnecke gerollt und dünn aufgeschnitten werden. Flaumigen Erdäpfelnockerln stellt die Küche geräucherte Butter und gehobelte Pilze zur Seite. Höchst akkurat gefaltete Teigpölsterchen sind mit chilischarfem Schweinefleisch gefüllt, und an komplex abgeschmecktem Sauergemüse hält das Warszawska stets eine Vielzahl bereit.

Welche Einflüsse die polnische Küche in ihrer Geschichte aufweisen konnte – etwa russische und preußische –, zeigte jüngst eine Initiative anlässlich der hundert Jahre Unabhängigkeit, die das Land heuer feiert. Im Rahmen einer kulinarischen Gedenkwoche boten zahlreiche Warschauer Restaurants ein spezielles Menü mit traditionsbasierten Gerichten, die mithilfe eines Kulinarikhistorikers entstanden sind.

Eine Adresse, die man in Warschau jedenfalls nicht versäumen darf, ist das Kieliszki na Hożej. Der Name bedeutet so viel wie Gläser in der Hoża-Straße und spielt auf die Anschrift an (das Schwesternlokal nennt sich Kieliszki na Próżnej). Das gelungen gestaltete Lokal bietet über 200 Weine glasweise an – in Gläsern des österreichischen Herstellers Zalto, der sich offenbar mit der Firma Riedel die Ausstattung von Warschaus Topgastronomie aufteilt. Die Küche des Kieliszki na Hożej hält mitunter wirklich Verblüffendes parat: Signature Dish sind perfekt geformte runde Krapfen mit portweingeschmortem Pulled Lamb, kombiniert mit Melanzanikaviar, fettem Joghurt, gerösteten Cashewnüssen und fermentierten grünen Trauben, „Traubenkapern" genannt, als Säurekick. Ein Gericht, für das man Warschau sofort wieder aufsuchen möchte.

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