Serie Immobiliengespräch

„Häuser gehören nicht auf den Müll“

(c) Zooey Braun
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Architekt Werner Sobek gilt als Pionier des Urban Mining, der recycelbaren Art des Bauens. Der Visionär über Angemessenheit, „Nest-Bau“, Designvorgaben und das Wohnen der Zukunft.

Bei den „Bautechtalks“ der ÖBV (Österreichische Bautechnik Vereinigung) sprach der deutsche Architekt und Bauingenieur Werner Sobek, der unter anderem die Fassade des DC-Towers geplant hat, über seine Idee des Urban Mining: des recycelbaren Hauses, dessen Bestandteile die Grundlage eines neuen Gebäudes werden. „Die Presse“ fragte nach.

Die Presse: Häuser als Ersatzteillager zu sehen widerspricht auf den ersten Blick dem Trend der Nachhaltigkeit. Warum verfechten Sie diese Idee?
Werner Sobek: Es ist eine Frage der Ressourcen. Wir haben bisher rund 800 Milliarden Tonnen Material in Gebäuden verbaut, in den Industrieländern sind es derzeit 335 Tonnen pro Kopf. Die Bevölkerung wächst um 2,6 Menschen pro Sekunde. Wenn wir jedem davon den gleichen Baustandard zugestehen, müssten wir die Welt noch zweimal bauen. Alle Städte, alle Straßen. Oder wir könnten mit dieser Menge jedes Jahr eine 40 cm dicke und 2100 Meter hohe Mauer rund um die Erdkugel stellen.

Wie sind Sie auf die Idee des Haus-Recyclings gekommen?
Durch das Nachdenken über das, was gegeben erscheint. Ist es das wirklich, oder doch veränderbar? Und es hat mich irritiert, dass der Trend zum Recyceln, vom Hausmüll bis zur Autoindustrie, vor Gebäuden haltzumachen scheint. Warum eigentlich? Gehören Häuser denn auf den Müll? Um 2000 habe ich angefangen zu recherchieren, mich mit Emissionen und Ressourcenverbrauch zu beschäftigen. Mir haben sich die Haare aufgestellt.

Warum das Erschrecken? War das nicht zu erwarten?
Nicht in diesem Ausmaß. Und dann die Erkenntnis, dass vieles, was recyceln genannt wird, gar keines ist. Verbrennen oder in Stollen einzulagern ist keine Wiederverwertung.

Welche Vorteile hätte eine Umsetzung?
Wir könnten die Emissionen nachhaltig reduzieren, ohne auf Wohnkomfort verzichten zu müssen. Die Erderwärmung kann eingedämmt werden.
Welche Rahmenbedingungen braucht es dazu?
Mit der Einreichplanung sollte jeder auch eine Abrissplanung vorlegen müssen. Anzugeben, wie es nach dem Lebenszyklus weitergeht, ist etwa in der Autoindustrie längst Pflicht.

Und wie könnte das konkret umgesetzt werden?
Wiederverwertbare Materialien benutzen, die für Heizung und Regelungstechnik benötigte Energie nachhaltig erzeugen, etwa durch Fotovoltaik, und leichter bauen, nach dem Motto: „Build for more with less.“ Etwa Fassaden aus Stoff oder Betonstrukturen nehmen, für die die Lastverteilung so berechnet ist, dass sie nicht mehr massiv ausgeführt werden müssen und von vielen kleinen Löchern durchzogen sind.

Es gibt auch Beispiele dafür?
Viele, aktuell ist etwa die Urban Mining and Recycling Unit: ein Wohnmodul, das Anfang 2018 in eine der Etagen der experimentellen Nest-Plattform am Campus der schweizerischen Material- und Prüfanstalt in Dübendorf bei Zürich eingebaut wurde. Alle Materialien sind wiederverwert- oder kompostierbar. Die Teile werden in der Halle vorgebaut und vor Ort zusammengesetzt.

Würden Sie gern darin wohnen? Was bedeutet Wohnen für Sie?
Ja, natürlich. Wohnen ist der Versuch, Heimat zu erzeugen. Um sich wohlzufühlen, seine Identität auszuprägen, ist Wohnen ein hohes Gut. Ich bevorzuge dazu Transparenz und Offenheit, Weitläufigkeit, schaue auch gern ungehindert durchs Fenster. Wenn draußen etwas Grünes zu sehen ist, ist das natürlich besonders schön. Auf dem Fensterbrett möchte ich aber keine Pflanze haben – ich glaube, Pflanzen fühlen sich drinnen nicht so wohl wie draußen.


Welche Wohnkriterien müssen fürs Wohlbefinden erfüllt sein?
Zum Wohlfühlen gehört so vieles! Mal vom Bauphysikalischen her: von der Luftfeuchte über die Temperatur bis zur Halligkeit, also dem Echo-Effekt, das muss angenehm sein, damit sich ein Behagen einstellt. Das geht nicht, wenn es bei den Füßen zieht und der Kopf in einer Wärmewolke ist. Und all das Psychologische: Wenn da ein zweiter Mensch in der Wohnung ist, den man nicht leiden kann, dann wird das kein gutes Wohngefühl sein. Und umgekehrt: Auch eine schäbige Hütte kann einem Heimat sein, wenn ein lieber Mensch dort ist.

Wie wichtig ist Ihnen Design?
Für mich ist die Gestaltungsarbeit von hohem Wert – nicht nur die visuelle Wahrnehmung zählt dabei, auch die taktile, auditive und olfaktorische. Wie sich etwas anfühlt oder riecht, beeinflusst das Wohlbefinden und sollte daher bei der Gestaltung berücksichtigt werden.

Wie könnte das Wohnen in 30 Jahren aussehen?
Wir werden sicher nicht in Wohnkapseln in 200 Metern Höhe an (künstlichen) Bäumen hängen. Glaube ich zumindest. Was sich ändern wird, ändern wird müssen, ist unser Verhältnis zu dem, was angemessen ist. Unser Lebens- und Baustil verursacht unangemessen viel Emissionen, wir haben kein Verhältnis zu dem, was angemessen ist. Materialien wie Zink oder Kupfer werden wir in zehn Jahren kaum mehr zur Verfügung haben, wenn wir es nach Gebrauch, also etwa beim Abbruch eines Hauses, weiterhin auf den Müll werfen. Das ist eine Verschwendung. Daher wird es einen Schritt in Richtung Urban Mining geben. Die Gebäude werden wohl ähnlich aussehen, vermutlich werden Materialien wie Holz oder Lehm viel öfter genutzt werden. Schon jetzt gibt es viele Menschen, die sich das wünschen.

Zur Person, zur Serie

Werner Sobek: Der 1953 in Aalen geborene Bauingenieur und Architekt ist ordentlicher Professor an der Universität Stuttgart und Leiter des Instituts für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren. Er ist einer der Initiatoren der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, und als Inhaber der Firmengruppe Werner Sobek – mit weltweit 300 Mitarbeitern – an zahlreichen Projekten beteiligt (etwa Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart).
In der Serie „Immobiliengespräch“ befragen wir Experten diverser Branchen zu den Themen Stadtplanung, Bauen, Wohnen und Design der Zukunft.

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