Kritik an Österreich: Weil wir uns nicht gewöhnen dürfen

„Wir dürfen nicht achselzuckend zur Kenntnis nehmen, dass die Demokratie in unserer Nachbarschaft demontiert wird.“ Martin Pollack, Jahrgang 1944, geboren in Bad Hall, Oberösterreich.
„Wir dürfen nicht achselzuckend zur Kenntnis nehmen, dass die Demokratie in unserer Nachbarschaft demontiert wird.“ Martin Pollack, Jahrgang 1944, geboren in Bad Hall, Oberösterreich.MARC TIRL / EPA / picturedesk.com
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Bewähren kann man sich nur in seiner Zeit, nicht indem man heroisch durch die Krisen und in die Kämpfe von gestern zieht. Was den Schriftsteller Martin Pollack mit dem Journalisten Max Zirngast verbindet, der in der Türkei festgehalten wird.

Vor einem Jahr hat Martin Pollack im „Standard“ einen Text publiziert, der mir lange nachging, weil er auf merkwürdige Weise zugleich traurig und kämpferisch, abgeklärt und leidenschaftlich anmutete. Eine tiefe Niedergeschlagenheit, schrieb Pollack da, empfinde er nicht, weil ihn das Alter mit seinen weniger angenehmen Seiten behellige oder seine schwere Krankheit ihm zu schaffen mache. Nein, das deprimierende Gefühl der Ohnmacht fasse ihn an, wenn er sehe, was aus den Hoffnungen geworden ist, die nicht nur er mit den Umbrüchen des Jahres 1989 verband.

Martin Pollack hatte sich damals als Slawist, Redakteur und europäischer Fährtengänger schon seit zwei Jahrzehnten mit jenem abgeblockten Teil unseres Kontinents beschäftigt, der nicht nur hinter dem Eisernen Vorhang verborgen lag, sondern auch von einer Mauer der Ignoranz umgeben war. Wie nur wenige andere hat er einem anfangs nur mäßig interessierten, später staunenden Publikum des deutschsprachigen Raumes Geschichte, Kultur und Literatur jener Region nahegebracht, von denen viele bei uns glaubten, sie hätten kaum etwas zu bieten, das die Auseinandersetzung lohnte. Wenn er uns in seinen ersten Büchern der 1980er-Jahre nach Galizien und in die Bukowina führte und mit einem von ihm so genannten „Zwischeneuropa“ bekannt machte, dann mussten dies, da durch Europa eine nahezu unüberwindliche Grenze schnitt, imaginäre Reisen sein; sie führten in eine verschwundene Welt, deren Bewohner zu Millionen der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten zum Opfer gefallen waren, über deren ausgelöschte Kultur aber auch nach 1945 der politische Bann auf der einen, der kulturelle Dünkel der Überlegenheit auf der anderen Seite verhängt waren.

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