Der G20-Gipfel sollte sich um globale Fragen wie Welternährung und Arbeit drehen – wurde aber von aktuellen Konflikten wie dem zwischen den USA und China überschattet. Zu einer Erklärung rang man sich trotzdem durch.
Als die letzten Akkorde verklungen waren, als Beifallsstürme durchs Teatro Colón wehten und das Publikum „Argentina, Argentina!“ rief, da stand Präsident Mauricio Macri in seiner Loge auf und bekam feuchte Augen.
War das die Rührung des Moments, die Freude über jenes rasante Potpourri, mit dem Musiker und Tänzer die Staatsgäste binnen 40 Minuten durch Pampa und Cordillera geleitet haben? War es der Stolz, die größte Veranstaltung der Landesgeschichte ohne größere Turbulenzen organisiert zu haben? War es das Wissen, dass die Gegendemonstration friedlich blieb und tatsächlich nicht mehr als 50.000 Menschen teilnahmen?
Oder weinte Macri, weil ihm klar wurde, dass diese sündteure Fiesta nicht viel anders als ein Jubiläumsakt in einer konkursreifen Firma ist? Weil er wusste, dass das Familienfoto auf der Treppe des Opernhauses eher als Abschiedsbild einer Epoche in die Geschichte eingehen wird denn als Symbol für einen Aufbruch? War Macris Gefühlsbekundung ein Bekenntnis der eigenen Inferiorität vor einem Klub der Reichen, bei dem er in der Kreide steht? Oder die Schmach der Erniedrigung durch Donald Trump?
„Ich kenne Mauricio Macri seit über dreißig Jahren“, schwadronierte der US-Präsident nach dem Besuch bei Argentiniens Regierungschef, zu dem er verspätet kam, weil er unbedingt noch Wladimir Putin via Twitter anpatzen musste, ehe dieser in der Pampa landete. „Ich habe mit Mauricio damals in Manhattan gute Geschäfte gemacht. Er war ein blendend aussehender junger Mann. Und vor allem mit Mauricios Vater.“ So wurde der aktuelle G20-Präsident zum Sohn eines guten Immobilienhais zurechtgestutzt. Danach gab Trumps Sprecherin bekannt, dass es zwischen Macri und Trump unter anderem „um die räuberischen ökonomischen Aktivitäten Chinas“ gegangen sei. Eine Gemeinheit vor Macris wichtigem Termin am Sonntag. Heute empfängt er den chinesischen Staatschef, Xi Jinping, zum formellen Staatsbesuch. Es geht um Milliardeninvestments.
Zahlreiche Konflikte
USA–China, es ist der Konflikt der Giganten, der diesen Gipfel überspannt. Also jene Konfrontation, die sich auf dem Feld des Handels entspinnt, die aber tatsächlich um Rohstoffe und Geopolitik geht und, vor allem, um die Kontrolle jener Technologien, welche die Weltwirtschaft im 21. Jahrhundert bestimmen werden.
Um grundlegende globale Fragen gemeinsam zu lösen, waren die Gipfel der 20 wichtigsten Industrienationen 2008 in ihrem heutigen Format eingeführt worden. Um die Zukunft der Arbeit und der Welternährung sollte sich die Konferenz in Buenos Aires drehen, vorbereitet in einer Serie von Ministertreffen während des ganzen Jahres. Aber nun wurden die Aussichten durch die Vielzahl aktueller Konflikte und Konfrontationen in diesem Zoo aus Alphatieren verdunkelt. Als Erster war der saudische Kronprinz Mohammad bin Salman in der Pampa gelandet, um in Folge eine erhebliche Erfahrung als Paria zu machen. Kein Staatschef wollte mit ihm fotografiert werden, schon gar nicht der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, der beim Familienfoto ganz nach links gestellt wurde, der Saudi stand ganz rechts. Bis einer seine Chance sah: Als Wladimir Putin den jungen Saudi abklatschte wie zuletzt vor dem Spiel der beiden Nationalmannschaften bei der WM, konnte er sicher sein, dass er wieder einen Kantersieg wie jenes 5:0 im Juni einfuhr. Dass die beiden Staaten im syrischen Krieg unterschiedliche Lager unterstützen, ist eine Fußnote geblieben.
Wie üblich nutzen die Staatschefs den Rahmen von Buenos Aires für Kontaktpflege. Einige Treffen hatten historischen Rang. So war Theresa Mays Besuch bei Mauricio Macri die erste Visite eines britischen Staatschefs seit dem Falkland-Krieg vor 36 Jahren. Kanadas Justin Trudeau und Mexikos Enrique Peña Nieto unterschreiben das neue nordamerikanische Freihandelsabkommen, ein Erfolg für den trotzdem mies gelaunten Trump, der auf die Nachbesserungen gepocht hatte. Das wichtigste Treffen fand indessen am Samstagabend statt: Trump und Xi Jinping wollten die Handelskrise unter vier Augen besprechen.
31 Punkte
Lange war zweifelhaft, ob sich alle Teilnehmer zu einer gemeinsamen Schlusserklärung durchringen würden. Am Samstagnachmittag konnte Macri erleichtert das 40-seitige Dokument mit den 31 Punkten präsentieren. Die Welthandelsorganisation WTO solle reformiert, der freie Welthandel auch ein gerechter Handel werden – das war eine zentrale Forderung der USA, die offenbar auch China akzeptierte. Außerdem wollen alle Staaten auch künftig multilateral – also im großen Kreis der G20 – an der Lösung globaler Probleme arbeiten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2018)