Gelbe Warnwesten als Warnung für Europa

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Macron ist Frankreichs bester Präsident seit Langem – und der unbeliebteste. Aber hinter der wirren Wunschliste der „Gilets jaunes“ stehen echte Probleme.

In Frankreich bewegt sich etwas. Ein diffuser Zorn treibt die Menschen auf die Straße, gewandet in die gelben Warnwesten aus ihren Handschuhfächern. Aber wohin es sie zieht, wissen sie selbst nicht. „On bouge!“, ruft einer laut bei einer Straßenblockade am Triumphbogen in Paris – „bewegen wir uns!“. Dann läuft die Horde, nach links, nach rechts. Alles mündet am Ende im Chaos – mit landesweit 260 Verletzten, brennenden Barrikaden, geplünderten Geschäften. Zurück bleibt die zentrale Parole, gesprayt auf den Arc de Triomphe: „Macron, tritt zurück!“ Auch der junge Präsident trat vor eineinhalb Jahren mit der Devise an: „En marche“, „setzen wir uns in Bewegung“. Aber dahinter standen rasch Partei und Programm. Bisher waren die Widerstände gegen seine Reformen auf dem Arbeitsmarkt und bei der Staatsbahn schwach. Denn zum Protest riefen die Gewerkschaften. Sie vertreten kaum noch zehn Prozent der Arbeitnehmer und haben keinen Rückhalt mehr, weil die Franzosen auch sie zum Politestablishment zählen. Aber jetzt kommt diese anarchische Massenbewegung aus dem Nichts.

Die Gilets jaunes, die sich spontan in sozialen Netzwerken zusammentrommeln, bleiben ohne Anführer. Wer sich als Sprecher für Verhandlungen anbietet, erhält Morddrohungen. Das einzige Gesicht der Bewegung, eine Hypnotiseurin, hat sich mit einer wüsten Schimpftirade per Handykamera zum Internet- und Talkshowstar aufgeschwungen und glaubt an die dümmste aller Verschwörungstheorien: dass Kondensstreifen in Wahrheit Giftwolken sind, ausgestreut von den bösen Mächtigen. Das alles hindert 80 Prozent der Franzosen nicht daran, sich mit der rabiaten Revolte zu solidarisieren.

Inhaltlich geht es nicht mehr nur gegen höhere Ökosteuern auf Diesel. Seit Kurzem liegt ein langer Forderungskatalog vor. Ein so naiver, realitätsferner Brief ans Christkind ist selten geschrieben worden. Die Gelbwesten wollen viel weniger Steuern zahlen. Und zugleich: einen höheren Mindestlohn, Pension schon ab 60, kleinere Schulklassen, Bahnlinien bis in den hintersten Graben, mehr Geld für Polizei und Militär. Da können sich sogar die Populisten in Rom noch etwas abschauen. Wenn Macron dann in ruhigen Worten das Selbstverständliche erklärt, dass eine radikale Steuersenkung im Gegenteil harte soziale Einschnitte nach sich zöge, beschimpfen ihn alle als abgehoben. Und die Revoluzzer verraten ihr Rezept gegen steigende Staatsschulden: Keine Zinsen zahlen. Denn Ansprüche der Gläubiger seien ohnehin „illegitim“.

Der Kern der wirren Wut: Die Kaufkraft der Franzosen stagniert seit zehn Jahren, in allen Einkommensschichten. Genau dagegen ist Macron angetreten: die notorische Wachstumsschwäche einer Wirtschaft, die an der höchsten Abgabenquote Europas und einem überbordenden Staatsapparat leidet. Nichts hat er dabei verschwiegen, auch nicht eine Energiewende über höhere Spritsteuern und Prämien für Neuwagen. Selbst wenn dieses Detail ungeschickt war (besser wäre gewesen, zeitgleich eine Massensteuer zu senken): Macron ist der beste Präsident, den die Franzosen seit Langem haben. Auch Chirac und Hollande traten als Reformer an, aber sie knickten bald ein und wahrten mit immer neuen Mehrausgaben den sozialen Frieden. Macron aber hält Kurs – und macht sich damit noch unbeliebter als seine Vorgänger. Im Grunde steht dahinter ein Unbehagen am zentralistischen Präsidialsystem: Ein übermächtiges Staatsoberhaupt thront wie ein König im prunkvollen ?lysée-Palast und steuert von dort aus fünf Jahre lang das Land, mit einer Regierung als Hofstaat. Alle Augen sind auf ihn gerichtet, in Bewunderung oder Hass. Bei Macron fällt das nur noch mehr auf, weil er die Volksparteien pulverisiert und damit die Opposition geschwächt hat. Seine Strahlkraft wird ihm zum Verhängnis.

Er könnte schlau genug sein, das abzufedern: durch mehr direkten Kontakt zu den Bürgern, so wie im Wahlkampf. Wenn nicht: Le Pen und Mélenchon, die extreme Rechte und der extreme Linke, sind schon dabei, den Volkszorn für sich zu vereinnahmen. Sogar bei ausländerfeindlichen Demos in Berlin sind erste Warnwesten gesehen worden. Was uns eine Warnung sein sollte.

E-Mails an: karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2018)

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