Frankreich: Macron geht auf Gelbwesten zu und erhält eine Abfuhr

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Die Regierung will wegen massiver Proteste die Ökosteuer verschieben, doch Gelbwesten kündigen neue Demonstrationen an.

Paris. Frankreichs Regierung scheint dem massiven Druck der seit drei Wochen andauernden Proteste der „Gelben Westen“ nachzugeben: Man müsste taub und blind sein, um diese Wut zu ignorieren, sagte Premierminister ?douard Philippe in einer TV-Ansprache. Er versicherte, er höre sehr wohl die zornige Botschaft der Arbeiter, der alleinerziehenden Mütter und aller, die von ihren Gehältern nicht leben könnten. „Keine Steuer ist es wert, die Einheit des Landes aufs Spiel zu setzen.“

So soll die für den 1. Jänner geplante Erhöhung der Ökosteuern auf Treibstoffe für sechs Monate ausgesetzt werden. Während dieser Frist sollen „begleitende Maßnahmen“ gefunden werden, um die zusätzliche Last für die Energiewende sozial erträglich zu machen. Die Verteuerung von Diesel und Benzin war der ursprüngliche Grund für die Proteste wütender Franzosen, die – in gelbe Warnwesten gekleidet – seit drei Wochen Straßensperren vor Autobahnzufahrten, Einkaufszentren und Tankstellen errichten.

Der Premier bietet auch an, die geplante strengere (und damit kostspieligere) technische Fahrzeugprüfung ebenfalls um sechs Monate hinauszuschieben. Zudem sollen Strom- und Gastarife in diesem Winter nicht weiter steigen. Über weitere Initiativen möchte die Staatsführung während der sechsmonatigen Pause offen diskutieren: So erwägt Philippe die eventuelle Schaffung einer Transportzulage für Erwerbstätige, die auf ihr Privatfahrzeug angewiesen sind.

Der Premier will mit Sozialpartnern und lokalen Behörden über weitere Schritte beraten. Er räumte ein, dass Frankreich die Steuerlast, eine der höchsten innerhalb der EU, rascher senken müsse, was aber bedeute, dass die Ausgaben entsprechend vermindert werden müssten. Doch von ebendiesen Einsparungen wollen gerade die Bewohner der ländlichen Gebiete, die über einen Mangel an öffentlichen Diensten und Infrastruktur klagen, nichts wissen.

„Franzosen sind keine Spatzen“

„Das ist zu wenig und kommt zu spät, die Franzosen wollen mehr Kaufkraft, nicht bloß ein Moratorium“, kommentierte der Abgeordnete Damien Abad, Vizepräsident der konservativen Partei Les Républicains das Angebot der Regierung. Ähnlich reagierte Marine Le Pen von der rechten Rassemblement National: „Das entspricht nicht den hohen Erwartungen der Franzosen, die unter prekären Bedingungen leben müssen.“

Auch die frühere sozialistische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal kritisierte die Regierungstaktik: „Diese Entscheidung hätte man gleich zu Beginn des Konflikts treffen müssen. Wer auf Zeit spielt, muss am Ende dafür viel mehr bezahlen.“

Auf den Barrikaden der Gelbwesten, wo man Philippes Rede gespannt verfolgt hat, wurde schnell die Rechnung gemacht: Was der Regierungschef zur Versöhnung anbiete, bedeute letztlich bloß eine befristete Verschiebung der verhassten Abgabenerhöhung, hieß es. Statt einer Realerhöhung der Kaufkraft verspreche der Premier nur, dass diese nicht sinken soll. Dafür, so meinen die meisten, seien sie nicht tage- und nächtelang protestierend draußen gestanden. Viele hatten zumindest eine kräftige Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns (derzeit 1153 Euro netto pro Monat) erwartet.

Benjamin Cauchy, der in Toulouse als Sprecher eines gemäßigten Teils der Gelbwesten gilt, ist empört: „Die Franzosen sind doch keine Spatzen, die man mit Bröseln abspeist.“ Er fordert die Rücknahme der angekündigten Abgaben auf Treibstoffe, darüber hinaus aber eine Änderung des Steuersystems sowie eine Verfassungsrevision mit mehr demokratischen Rechten für das Volk. „Jetzt ist es zu spät, um zurückzurudern“, sagte in der Drôme ein Demonstrant dem Nachrichtensender BFM-T. Er fordert Neuwahlen und „alle Macht den Bürgern“.

Eric Drouet, einer der Wortführer der Gelbwesten im Südosten von Paris, ruft auf Twitter für Samstag wieder zu einer Kundgebung in der Hauptstadt auf: „Wir sind leider gezwungen, unsere Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen. Solange es nicht reelle Änderungen gibt, bleibt dies das einzige Mittel, um zu zeigen, dass praktisch alle Gelben Westen nicht einverstanden sind.“

Premier als Sündenbock?

Der Beschwichtigungsversuch der Regierung scheint also bereits zum Scheitern verurteilt zu sein. Für Präsident Emmanuel Macron bedeutet dies, dass er mit einer Protestbewegung konfrontiert ist, die sich als Volkserhebung versteht. Bisher hat er geschwiegen und seinen Premier vorgeschickt.

Macron könnte Regierungschef Philippe nun der wütenden Menge als Sündenbock opfern und ihn absetzen. Doch der Präsident steht mit dem Rücken an der Wand: Mit einer totalen Kapitulation vor der Wut der Gelbwesten wäre er für den Rest seines Mandats politisch erledigt, meinen in Paris die meisten Beobachter und Politologen. Die wenigsten wüssten, welchen Rat sie ihm geben könnten.

Auf einen Blick

Nach wochenlangen Protesten lenkt die französische Regierung ein und verzichtet vorerst auf die angekündigte Erhöhung der Ökosteuer. Die Steuer werde in den nächsten sechs Monaten nicht angehoben, sagte Premierminister ?douard Philippe. Eigentlich sollte sie ab Jänner greifen. Auch die Preise für Gas und Strom werden nicht erhöht. Der dreiwöchige Protest war am Wochenende in Paris eskaliert. Unter anderem brannten Autos, und der Arc de Triomphe wurde beschädigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2018)

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