Wächter gegen Wächter

Necla Kelek und Lamya Kaddor: Kritik an ihren fundamentalis- tischen Glaubensbrüdern üben beide Musliminnen – doch sie haben zwei sehr unter-schiedliche Zugänge dazu.

Auf Taubenfüßen kommen die Reformen, stoßen auf taube Ohren und verschieben doch die Machtverhältnisse. Eine wahre Erneuerung des Islam wird nur von innen und in erster Linie von Frauen erfolgen, die wissen, wie sie den patriarchalen Strukturen entgegentreten. Die gute Nachricht: Es gibt Erfolge. Aber noch handelt es sich um erste Gehversuche. Zwei deutsche Autorinnen, Necla Kelek und Lamya Kaddor, beschreiten in ihren neuen Büchern unterschiedliche Wege, um dem Islam, zumal in der Öffentlichkeit, ein neues Gesicht zu verleihen und – falls es gelingen sollte – auch die schweigende Mehrheit der Muslime dafür zu mobilisieren.

Necla Kelek, promovierte Soziologin und bekannt als Mitglied der Deutschen Islam- Konferenz, schwört sich mit ihrem Buch „Himmelsreise – Mein Streit mit den Wächtern des Islam“ gegen die islamische Orthodoxie ein, gegen die Traditionalisten, Vormünder, Überväter, Islamfunktionäre und alle Besserwisser, die nicht ihrer Meinung sind. In ihrem – eher einseitigen – Unter-fangen lauern gewisse Gefahren. Eine ist, dem Feindbild noch mehr Futter zu geben. Das tut Necla Kelek, indem sie ausführlich über islamverschuldete Missstände und islamverseuchte Zonen in einer ansonsten heilen und demokratisch freien Gesellschaft berichtet.

Auf die kaum vorhandene andere Waagschale legt sie einen Islam, der, vage formuliert, „spirituell zu rehabilitieren“ sei – oder meint sie abzuschaffen –, was aber als bloße Worthülse ohnedies kein Gewicht erlangt. Hinzu kommen die auch historischen Erläuterungen, was den Islam – seinem Wesen nach! – als Religion und Glaubensform ausmache. Man könnte sich das gelassen zu Gemüte führen, wären da nicht Titel wie „Den Koran gibt es nicht“ oder Sätze wie „Nehmen wir einmal an, dass Mohammed gelebt hat“. Ob dadurch die Wächter wachgerüttelt werden? Oder diskreditiert? Oder handelt es sich um die Freiheit eines freien Denkens, das übersieht, in einer starren Gegenposition festgefahren zu sein?

So ergibt sich die weitere Schwierigkeit in diesem Unterfangen, nämlich die Gefahr, sich seinem Feindbild anzugleichen: Hier steht Wächter gegen Wächter. Und die Verfehlung des großen Dschihad der inneren Reinhaltung. Es ist der Stil von Kelek: Zynische Seitenhiebe, einseitige Belämmerungen und Ha-ich-habe-dich-erwischt-Analysen lassen nur auf eines schließen: Hier spricht Eiferer gegen Eiferer. Und das ist schade. Denn so wichtig ihre Auseinandersetzung, ihre Argusaugen sind, sie bleiben methodisch und sprachlich nicht differenziert genug. Und damit scheitert ihr Anspruch, die „Verwirrung zu klären“, den Islam und seine Problematik mit „Distanz, Analyse und Kritik“ zu verdeutlichen.

Von Anfang an durchzieht das Buch ein Mangel an Glaubwürdigkeit. Und nach 268 Seiten eines furiosen Himmelfahrtskommandos, bei dem kein gutes Haar am Koran, am Islam und an seinen Fürsprechern gelassen wurde (wogegen grundsätzlich nichts einzuwenden wäre), kommt als letztes Kapitel im Buch eine Coda daher, die einen neuen Ton anschlägt: ein Aufruf zur Vereinigung der Muslime, der im Absatzrhythmus mit „Wir Muslime“ beginnt, also Necla Kelek mit einschließt, und dazu auffordert, für den Islam einzutreten, Verantwortung zu übernehmen und die Vernunft – das heißt wohl ihre – zu gebrauchen. Auch das könnte man so stehen lassen. Aber es ist letztlich dann doch unlogisch, wenn sich die Autorin zu einer Religion bekennt, die sie zuvor als definitiv integrationsunfähig und patriarchal-rückständig nicht nur gegenwartsbezogen, sondern von Grund auf verworfen hat.

Hut ab, denn man weiß am Ende nicht, was man ihr sonst abnehmen soll. Als säkularer, kultureller oder liberaler Muslim oder auch in Islamfragen unkundiger Leser – dem es allerdings nicht angeraten wäre, aus dem Buch zu zitieren – wird man die Argumentationen an einem Punkt ausblenden, sich seiner eigenen Vernunft besinnen und freudvoll selber denken. Die Wächter aber bleiben davon unberührt.

Authentischer liest sich das Buch von Lamya Kaddor „Muslimisch – weiblich – deutsch! Mein Weg zu einem zeitgemäßen Islam“. Die junge Islamwissenschaftlerin hält darin ein persönliches und breit gefächertes Plädoyer für einen liberalen, aufgeklärten Islam, dem sie nicht nur als Gläubige, sondern auch als „Berufsmuslimin“ Modell stehen kann. Einen Großteil des Buches berichtet sie über ihre Erfahrungen im islamkundlichen Religionsunterricht und erläutert ihr Verständnis von Bildung beziehungsweise Persönlichkeitsbildung für junge Menschen, und zwar nicht nur Schüler. Die meisten Muslime wissen kaum mehr von ihrer Religion als das kanonisierte Regelwerk, womit ihnen ein eigenverantwortlicher, also hinterfragter, geliebter und individuell gelebter Islam erschwert wird.

Lamya Kaddor hat am ersten deutschen Schulbuch zum Islam – „Saphir“ – mitgearbeitet und als eine Pionierin der islamischen Religionspädagogik auch den ersten „Koran für Kinder und Erwachsene“ (mit Rabeya Müller, C.H. Beck 2008) herausgegeben. Die Auswahl von thematisch zusammenhängenden Suren stellt eine in sich stimmige Einführung dar, vor allem aber einen kreativen Umgang in der Vermittlung von Glaubensinhalten.

Kaddor erzählt freimütig über ihre Kindheit, ihre Verständnisfragen zum Islam und kindlichen Lösungen, die sie mit dem Motto der Pippi Langstrumpf „Ich mach mir die Welt, widde widde wie sie mir gefällt“ einleitet. Diese Freiheit, die auf einer intensiven, der Sache dienenden Befragung beruht, nimmt sie sich auch als Erwachsene und lebt ihren Glauben so, wie sie ihn leben möchte und es für richtig befindet. Das ist erfreulich. Es klingt nur eher kindisch, wenn sich die Autorin darüber beklagt, nun mit Fragen belästigt zu werden, die sie außerhalb der üblichen Norm ansprechen. Das Setzen neuer Verhaltensformen bringt Herausforderungen mit sich und zieht ein anderes Motto der Autorin nach sich: „Leben und leben lassen“.

So manches darf man bei der Lektüre belächeln, wie die oft einfach gehaltene Sprache, die sich vom Duktus des Kinderkorans noch nicht gelöst hat. Ebenso den scheinbar obligatorischen Appell zum Schluss des Buches, in dem sich auch Kaddor in einem mehrseitigen Katalog zu einem Muss-muss-muss-Stakkato hinreißen lässt. Gerade liberale, selbstbestimmte Menschen könnte das unnötig beengen. Denn sofern sie sich persönlich für den Islam einsetzen wollen: Es wird nicht solchen Aufforderungen geschuldet sein, sondern der Inspiration, die sie trotzdem von der Autorin und ihrem Buch beziehen können. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2010)

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