Skinhead-Reportage: ORF-Quotenhit am rechten Rand

(c) ORF (Ali Schafler)
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Hat der ORF sein „Am Schauplatz“ inszeniert bzw. manipuliert? Oberstaatsanwaltschaft fordert vom Küniglberg gesamtes Drehmaterial.

Rekord für den „Club 2“: Die bisher höchsten Einschaltquoten brachte die ORF-Diskussion am Donnerstagabend, durchschnittlich 378.000 Zuschauer bei einem Marktanteil von 40Prozent. Die „Am Schauplatz“-Sendung davor brachte es auf 458.000 Zuseher – Spitzenwert der Rubrik seit 2004. Die Milieustudie „Am rechten Rand“ war es, die schon im Vorfeld die Wogen hochgehen ließ: Laut FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hätte Redakteur Ed Moschitz jugendliche Skinheads bei einer seiner Wahlveranstaltungen dazu angestiftet, sich nationalsozialistisch wiederzubetätigen, sprich: „Sieg Heil“ zu rufen– und sie dafür laut Strache mit einer „Prämie“ von 80Euro zu bezahlen.

Im „Club2“ wollte ORF-Magazinchef Johannes Fischer präzisiert haben: „Was haben Sie wirklich gehört?“ Strache kann sich nicht erinnern, ob es ein „Sieg Heil“ oder ein „Heil Hitler“ war – dabei hatte er schon angeboten, sich einem Lügendetektortest zu unterziehen. Auch die „Beweise“, die er mehrfach angekündigt hat, wurden bisher nicht vorgelegt. Hohe, aber nicht direkt mit der Sache befasste ORF-Kreise sind dennoch der Meinung: „Da scheint hausintern einiges falsch gelaufen zu sein. Irgendwie ist die Geschichte nicht rund.“ In mehreren Punkten eckt Meinung an Meinung – drei Beispiele:
•Stichwort „Bezahljournalismus“: Waren es einmalig 100 Euro oder 100 Euro pro Drehtag plus „Prämien“, die an die beiden Jugendlichen bezahlt wurden? Laut ORF hat Moschitz für den Dreh nur zwei Rechnungen vorgelegt: jeweils 100Euro pro Skinhead, um deren Rechte abzugelten. Moschitz habe darüber hinaus für die Jugendlichen einen kleineren zweistelligen Eurobetrag aufgewendet – „jedenfalls kein ORF-Geld“, so ORF-Kommunikationschef Pius Strobl zur „Presse“. In den von der FPÖ verbreiteten Vernehmungsprotokollen der Jugendlichen ist zu lesen, ihnen wären 80Euro für ein „Sieg Heil“ geboten worden– ihre Glaubwürdigkeit ist umstritten.
•Stichwort „Manipulation“: Hat der ORF das Originalmaterial vom Dreh in Wr. Neustadt manipuliert? Ob das technisch und zeitlich möglich gewesen wäre, ist genauso umstritten. Laut Strobl liegt das Material derzeit in einem „Tresor“ im ORF-Zentrum. Die Oberstaatsanwaltschaft pochte Freitag nochmals auf dessen Herausgabe; Redakteursrat, Journalistengewerkschaft und ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz pochen auf das Redaktionsgeheimnis. Allerdings: Weigert sich der ORF weiterhin, das gesamte Drehmaterial herauszugeben (Teile wurden schon sichergestellt), könnte eine Geldstrafe über ihn verhängt werden.
•Stichwort „Inszenierung“: Darf ein Journalist eine Geschichte in Szene setzen? Grundsätzlich ist absolut objektive Berichterstattung nicht möglich. Sie ist aber objektivierbar, wenn der Journalist sich seiner Rolle bewusst ist – Moschitz dürfte sich der Problematik bewusst sein: Seine Diplomarbeit dreht sich um die Authentizität von TV-Reportagen.

Wrabetz: Herausgabe bekämpfen

Allerdings: Dass der ORF Moschitz' Uni-Professor Fritz Hausjell zur „Club2“-Diskussion einlädt, wirkte äußerst fragwürdig: Natürlich ist der seinem ehemaligen Studenten gegenüber befangen.

Freitagnachmittag tauchte dann ein Online-Video auf, das die Argumentationslinie des ORF stützt: Darin ist Skinhead Philipp, einer der beiden Protagonisten im umstrittenen „Am Schauplatz“, bei einer FPÖ-Veranstaltung aus dem Vorjahr zu sehen. Straches Vorwurf, der ORF habe „Agents Provocateurs“ in seine Reihen geschmuggelt, wird dadurch entkräftet.

Gerüchte machten am Freitag außerdem die Runde, z.B.: Informationsdirektor Elmar Oberhauser hätte Moschitz suspendieren wollen. Als er bei ORF-Chef Wrabetz damit auf Granit biss, sei er wutschnaubend in den Urlaub abgereist. Laut Strobl stand eine Suspendierung Moschitz' nie zur Debatte.

Verunsicherung herrscht indes unter den ORF-Journalisten, erfuhr die „Presse“ vom Küniglberg. Die Redakteurssprecher überlegen, demnächst eine „Aufklärungsveranstaltung“ zu machen, möglicherweise um die Journalisten auf rechtliche Schranken und den Pressekodex hinzuweisen. „Am Schauplatz“-Chef Christian Schüller, der schon am Montag in einem Gastkommentar für die „Presse“ Stellung bezogen hat, erklärte am Freitag gegenüber dem Onlinedienst etat.at: Er werde Strache wegen „übler Nachrede, falscher Zeugenaussage und Anstiftung zum Amtsmissbrauch“ klagen.

Erstmals hat sich am Freitag auch ORF-Chef Wrabetz in der Causa zu Wort gemeldet: Er werde die geforderte Herausgabe des gesamten Drehmaterials „mit allen juristischen Mitteln bekämpfen“. Die Oberstaatsanwaltschaft zeigte sich „erstaunt, dass der ORF nicht alles tut, um alles aufzuklären“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2010)

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