Sozialpornos am Schauplatz ORF

Strache, die Neonazis und der unabhängige Rundfunk – wer wurde von wem manipuliert?

In der „Gegengift“-Redaktion, die eine Schwäche für Rührstücke hat, werden die ORF-Sendungen „Am Schauplatz“ oft geschätzt. Sie wirken wie die akademische, ernste Variante der „Alltagsgeschichten“, bei denen man sich über besoffene Nachfahren des Herrn Karl amüsiert. Das ist wie feinstes Privatfernsehen – eine Art „Mitten in Meidling“.

Am Donnerstag aber hat mich der „Schauplatz“ verwirrt. Um halb elf begann ein Sozialporno über Kampfhunde, das Arbeitsmarktservice und rechtsextreme Skinheads, der abrupt in eine politische Sendung über die FPÖ überging, um in einem strengen Kammerspiel zu münden, das bis weit nach Mitternacht dauerte. Angeblich war Letzteres ein „Club 2 spezial“, aber man hätte es auch „Fight-Club“ nennen können, denn die Herren waren ziemlich verhaltensauffällig, um nicht zu sagen extrem. Sogar der Moderator hielt – gar nicht mäßigend – mit dem penetranten FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache mit, der in der seltsamen Rolle des Opfers aufging, zu der ihm die Mehrheit der übrigen Diskutanten eifrig verhalf.

Bis auf den zurückhaltenden ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf verteidigten sie die Neonazireportage von „Ed“ Moschitz und den ORF gegen die blaue Gefahr mit der Verve von Scharfrichtern, die zugleich auch Pflichtverteidiger und Henker sind.

Wer also wurde von wem manipuliert? Strache, der meint, ein Reportageteam habe ihm zwei Rechtsextreme zugeführt, oder doch der ORF, der dem hellhörigen FPÖ-Chef eine Märtyrer-Show gab? Diskussionsleiter Rudolf Nagiller war im Urteilen beinahe so flink wie sein Kollege, der ORF-Magazinchef Johannes Fischer, assistiert wurden sie dabei vor allem von Fritz Hausjell, einem Kommunikationswissenschaftler, der Herrn Moschitz das Handwerk beigebracht hat. Eigentlich hätte sich die Diskussionsrunde dem Thema „Was darf Journalismus?“ widmen sollen, darauf ließen sich die Herren aber nie ernsthaft ein. Zu mächtig war anscheinend der Drang, an diesem Abend das harte Sozialdrama „Wir hauen den H.-C. und sind dabei unheimlich gut“ zu geben.

Wer also hat die Wahrheit gesagt, über widersprüchliche Neonazisprüche und Bezahlung angeblicher Neonazistatisten? Das werden die Gerichte klären. Wir haben trotzdem Wichtiges gelernt.

☞ Eine Mindestsicherung von 744 Euro ist viel zu niedrig, wenn heute sogar schon arbeitslose Skinheads vom ORF zu politischen Veranstaltungen geführt werden müssen.

☞ ORF-Chef Alexander Wrabetz äußert sich ausführlich nur zu wirklich bedeutenden Society-Anlässen.

☞ Der „Club“ ist tot. Die Farce lebt.

✂ Und irgendwer müsste, falls manipuliert wurde, die Verantwortung übernehmen. Bei der BBC sind Chefs schon aus geringerem Anlass gefeuert worden. Eine einfache Suspendierung würde genügen. Da Informationsdirektor Elmar Oberhauser bereits auf Urlaub ist und Kommunikationschef Pius Strobl so unersetzlich wie Wrabetz, dürfte es Ärmere treffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2010)

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