Kanzler Kurz will die Sozialversicherungsbeiträge senken, um Einkommen zu entlasten. Leistungskürzungen werden befürchtet.
Wien. Diese Regierung hat es eilig. Gerade erst wurde die Sozialversicherungsreform beschlossen, mit der Umsetzung wurde noch nicht begonnen – und schon kommen wieder Reformvorschläge.
Bundeskanzler Sebastian Kurz sagte am Wochenende in einem „Österreich“-Interview, dass man nun im Jänner eine große Steuerreform angehen wolle. Ein Hauptanliegen dabei sei, den Faktor Arbeit weiter zu entlasten. Unter dem Strich solle Beziehern von kleinen und mittleren Einkommen mehr bleiben. Die gewünschte Entlastung durch die gesamte Steuerreform liege aber bei rund fünf Milliarden Euro.
Schrauben im System
Das wolle man etwa auch erreichen, indem Sozialversicherungsbeiträge weiter gesenkt werden. Wie das genau funktionieren soll, werde man erst erarbeiten, heißt es auf „Presse“-Nachfrage.
Kurz' Ankündigung ist eine konsequente Fortführung des bisherigen Wegs - den Faktor Arbeit günstiger zu machen. Im vergangenen Jahr wurde schon an der Unfallversicherung geschraubt, die von den Arbeitgebern einbezahlt wird. Die Beiträge wurden gesenkt – auf der anderen Seite wurde die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) mit massiven Einsparungsplänen beauftragt. Die Führung der Versicherung warnt vor Leistungskürzungen.
Auch bei der Arbeitslosenversicherung kam es zu Senkungen. Wer weniger als 1948 Euro verdient, muss seit Juli lediglich einen reduzierten Beitragssatz zahlen. Bei einem Einkommen unter 1648 Euro fallen die Beiträge gänzlich weg. Auf der anderen Seite muss das Geld freilich hereingeholt werden – eine Reform von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Mindestsicherung folgte, die für manche Gruppen durchaus mit Kürzungen einherging.
Noch nicht angegriffen wurden die Sozialversicherungsbeiträge für Pensions- und Krankenversicherung. Bei ersterer zu kürzen wird wohl schwierig werden – denn schon jetzt decken die Beiträge bei Weitem nicht den finanziellen Aufwand. Die Pensionszahlungen müssen großzügig mit Steuergeld bezuschusst werden.
Kritik an Einsparplänen
Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres befürchtet darum Kürzungen im Gesundheitsbereich als einzige Möglichkeit. „Schon jetzt sind die Krankenversicherungen unterfinanziert. Wenn man Beiträge senkt, bedeutet das Leistungseinbußen, weil es weniger Kassenärzte geben wird. Es fördert die Zwei-Klassen-Medizin“, sagt er zur „Presse“. „Die, die es sich leisten können, zahlen mehr und privat. Die, die es sich nicht leisten können, werden unterversorgt sein. Unter dem Strich ist das teurer.“
Aus dem Kurz-Büro heißt es dazu: „ Im Gegenteil, wir tun etwas dafür, dass es mehr Kassenärzte gibt. Nämlich jenes Geld, das durch die jetzt beschlossene Reform gespart wird, wieder in das System investieren.“ Die Rede ist hier von der sogenannten Patientenmilliarde. Dass die Reform ein derart hohes Einsparungspotenzial bringt, wird von Experten aber massiv bezweifelt. Im Gegenteil werden anfänglich hohe Kosten für die Reform prophezeit.
SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda begrüßt den Vorstoß, kleine und mittlere Einkommen zu entlasten, prinzipiell. „Die Frage ist nur, wie man das angeht – und wie man das gegenfinanziert. Klar ist für uns: Leistungen im Sozialbereich dürfen nicht gekürzt werden.“ Die Neos sprechen von einem „Marketing-Schmäh“. „Damit die Menschen mehr Netto von Brutto haben, muss die kalte Progression weg“, sagt Sozialsprecher Gerald Loacker.
Das Sozialversicherungssystem ist diese Woche auch noch einmal großes Thema im Parlament: Die Verschmelzung von 21 auf fünf Sozialversicherungsträger wird trotz heftiger Kritik der Opposition beschlossen werden. Verfassungsklagen werden erwartet.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2018)